Entscheidungsstichwort (Thema)
Reisekosten des am Gericht zugelassenen und gleichwohl auswärtigen PKH-Anwalts
Leitsatz (amtlich)
Die Beiordnung eines beim Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalts, der seinen Wohnsitz oder seine Kanzlei nicht am Ort des Prozessgerichts hat, kann seit In-Kraft-Treten des RVG nicht dahin eingeschränkt werden, dass sie nur zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts erfolgt.
Normenkette
ZPO § 121; RVG § 46; BRAGO § 126 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
AG Aurich (Beschluss vom 16.06.2005; Aktenzeichen 19 F 125/03 (UEUK)) |
Tenor
Auf die Gegenvorstellung des Beklagten wird der Senatsbeschluss vom 16.6.2005 dahin geändert, dass die Einschränkung der Beiordnung von Rechtsanwältin S. "zu den Bedingungen eines in Oldenburg ansässigen Rechtsanwalts" entfällt.
Gründe
Durch Beschluss des Senats vom 16.6.2005 ist dem in Aurich wohnenden Beklagten für das Berufungsverfahren Prozesskostenhilfe gewährt worden.
Gleichzeitig ist ihm Rechtsanwältin S., die ihren Kanzleisitz ebenfalls in Aurich hat und auch beim OLG Oldenburg zugelassen ist, "zu den Bedingungen eines in Oldenburg ansässigen Rechtsanwalts" beigeordnet worden.
Gegen diese Einschränkung wendet sich der Beklagte mit seiner Gegenvorstellung. Diese ist begründet. Der hilfsbedürftigen Partei ist gem. § 121 Abs. 1 ZPO grundsätzlich ein Rechtsanwalt ihrer Wahl beizuordnen. Im Kosteninteresse der Staatskasse bestimmt § 121 Abs. 3 ZPO lediglich, dass ein nicht beim Prozessgericht zugelassener Rechtsanwalt nur beigeordnet werden kann, wenn dadurch keine höheren Kosten entstehen. Unter Zulassung im Sinne der kostenrechtlichen Vorschriften, z.B. §§ 91, 121 ZPO, 126 BRAGO, ist dabei die Zulassung i.S.v. § 18 ff. BRAO zu verstehen (zuletzt BGH v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 m. Anm. Madert = NJW 2003, 898 [900], m.w.N.; Baumbach/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., § 121 Rz. 59; Musielak/Wolst, ZPO, 4. Aufl., § 91 Rz. 17), nicht hingegen die Postulationsfähigkeit i.S.v. § 78 ZPO. Auch für eine Uminterpretation des Begriffs in "Niederlassung" oder "Ortsansässigkeit" ist nach Auffassung des Senats angesichts des klaren Wortlauts kein Raum. Danach war und ist ein beim Prozessgericht zugelassener Rechtsanwalt grundsätzlich beizuordnen. Für eine Einschränkung der Beiordnung "zu den Bedingungen eines beim Prozessgericht ortsansässigen Rechtsanwalts" fehlt es nach In-Kraft-Treten des RVG an einer Rechtsgrundlage.
Unter der Geltung der BRAGO konnte der beim Prozessgericht zugelassene Rechtsanwalt allerdings Mehrkosten, die dadurch entstanden, dass er beim Prozessgericht zwar zugelassen war, dort aber weder Wohn- noch Kanzleisitz hatte, aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Regelung weder ggü. dem Gegner (§ 91 Abs. 2 S. 2 ZPO a.F.) noch ggü. der Staatskasse (§ 126 Abs. 1 S. 2 HS. 1 BRAGO) abrechnen. Eine eingeschränkte Beiordnung war daher möglich, wenngleich es ihrer nach ständiger Rechtsprechung des Senats - anders als bei nicht beim Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwälten, bei denen eine Erstattung grundsätzlich in Betracht kam (vgl. zu Prüfungsanforderungen insoweit BGH FamRZ 2004, 1362) - nicht bedurfte.
Mit der Einführung des RVG ist § 126 Abs. 1 S. 2 BRAGO - wie auch § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO a.F. - ersatzlos weggefallen. Damit ist der beim Prozessgericht zugelassene aber nicht ortsansässige Rechtsanwalt grundsätzlich nicht mehr gehindert, seine Reisekosten geltend zu machen. Soweit es in der Gesetzesbegründung zu § 46 RVG lapidar heißt:
"Die Regelung des § 126 Abs. 1 S. 2 BRAGO soll nicht übernommen werden, weil diese Vorschrift wegen § 121 Abs. 3 ZPO entbehrlich erscheint. Nach dieser Vorschrift kann ein bei dem Prozessgericht nicht zugelassener Rechtsanwalt nur beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen" (BT-Drucks. 15/1971, 200), trifft dies zwar für die nicht zugelassenen Rechtsanwälte zu, lässt aber gleichzeitig erkennen, dass in diesem Zusammenhang seinerzeit übersehen worden ist, welche Auswirkungen der Wegfall der Norm auf die Kosten der zugelassenen Rechtsanwälte hatte."
Es ist auch keine andere Norm ersichtlich, die die Gerichte berechtigen könnte, die Erstattungsfähigkeit der Mehrkosten eines zugelassenen, aber nicht ortsansässigen Rechtsanwalts von der Erforderlichkeit gerade seiner Beauftragung abhängig zu machen und bei deren Verneinung die Beiordnung einzuschränken.
Nach § 46 Abs. 1 RVG, der inhaltlich § 126 Abs. 1 S. 1 BRAGO entspricht, werden Auslagen, insb. Reisekosten, des beigeordneten Rechtsanwalts zwar nicht vergütet, wenn sie zur sachgemäßen Durchführung der Angelegenheit nicht erforderlich waren. Die Wahrnehmung eines Gerichtstermins durch den beigeordneten Rechtsanwalt ist aber zur sachgemäßen Durchführung der Angelegenheit stets erforderlich.
Der Rückgriff auf die allgemeinen Kostengrundsätze nach § 91 ZPO führt - so man ihn für zulässig halten wollte - ebenfalls nicht weiter. Zwar ergibt sich insoweit aus der Gesetzesbegründung explizit, dass der Gesetzgeber die unterschiedliche Ersta...