Entscheidungsstichwort (Thema)
Uneingeschränkte Beiordnung eines beim Prozessgericht zugelassenen, aber nicht ortsansässigen Anwalts
Leitsatz (amtlich)
Der hilfsbedürftigen Partei ist gem. § 121 Abs. 1 ZPO grundsätzlich ein Rechtsanwalt ihrer Wahl beizuordnen.
Im Sinne der kostenrechtlichen Vorschriften, z.B. §§ 91, 121 ZPO, 126 BRAGO, ist dabei die Zulassung i.S.v. §§ 18 ff. BRAO zu verstehen.
Danach war und ist ein beim Prozessgericht zugelassener Rechtsanwalt grundsätzlich beizuordnen. Für eine Einschränkung der Beiordnung zu den Bedingungen eines beim Prozessgericht ortsansässigen Rechtsanwalts fehlt es nach In-Kraft-Treten des RVG an einer Rechtsgrundlage.
Normenkette
RVG § 46; ZPO § 121
Verfahrensgang
AG Norden (Beschluss vom 19.07.2005; Aktenzeichen 7 F 306/05 S) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin wird der Beschluss des AG Norden vom 19.7.2005 dahin geändert, dass die Einschränkung der Beiordnung von Rechtsanwalt F. "zu den kostenrechtlichen Bedingungen eines Rechtsanwalts mit Sitz am Ort des Prozessgerichts" entfällt.
Gründe
Durch Beschluss des AG Norden vom 19.7.2005 ist der Antragsgegnerin Prozesskostenhilfe gewährt worden. Gleichzeitig ist ihr Rechtsanwalt F., der beim AG Norden zugelassen ist, seinen Kanzleisitz aber auf Norderney hat, "zu den kostenrechtlichen Bedingungen eines Rechtsanwalts mit Sitz am Ort des Prozessgerichts" beigeordnet worden.
Die gegen diese Einschränkung gerichtete sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.
Der hilfsbedürftigen Partei ist gem. § 121 Abs. 1 ZPO grundsätzlich ein Rechtsanwalt ihrer Wahl beizuordnen. Im Kosteninteresse der Staatskasse bestimmt § 121 Abs. 3 ZPO lediglich, dass ein nicht beim Prozessgericht zugelassener Rechtsanwalt nur beigeordnet werden kann, wenn dadurch keine höheren Kosten entstehen. Unter Zulassung im Sinne der kostenrechtlichen Vorschriften, z.B. §§ 91, 121 ZPO, 126 BRAGO, ist dabei die Zulassung i.S.v. §§ 18 ff. BRAO zu verstehen (zuletzt BGH v. 16.10.2002 - VIII ZB 30/02, MDR 2003, 233 = BGHReport 2003, 152 m. Anm. Madert = NJW 2003, 898 [900], m.w.N.; Baumbach/Hartmann, ZPO, 63. Aufl., § 121 Rz. 59; Musielak/Wolst, ZPO, 4. Aufl., § 91 Rz. 17), nicht hingegen die Postulationsfähigkeit i.S.v. § 78 ZPO. Auch für eine Uminterpretation des Begriffs "in Niederlassung" oder "Ortsansässigkeit" ist nach Auffassung des Senats angesichts des klaren Wortlautes kein Raum. Danach war und ist ein beim Prozessgericht zugelassener Rechtsanwalt grundsätzlich beizuordnen. Für eine Einschränkung der Beiordnung zu den Bedingungen eines beim Prozessgericht ortsansässigen Rechtsanwalts fehlt es nach In-Kraft-Treten des RVG an einer Rechtsgrundlage.
Unter der Geltung der BRAGO konnte der beim Prozessgericht zugelassene Rechtsanwalt allerdings Mehrkosten, die dadurch entstanden, dass er beim Prozessgericht zwar zugelassen war, dort aber weder Wohn- noch Kanzleisitz hatte, aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Regelung wieder ggü. dem Gegner (§ 91 Abs. 2 S. 2 ZPO a.F.) noch ggü. der Staatskasse (§ 126 Abs. 1 S. 2 Halbs. 1 BRAGO) abrechnen. Eine eingeschränkte Beiordnung war daher möglich, wenngleich es ihrer nach ständiger Rechtsprechung des Senats - anders als bei nicht beim Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwälten, bei denen eine Erstattung grundsätzlich in Betracht kam (vgl. zu Prüfungsanforderungen insoweit BGH FamRZ 2004, 1362) - nicht bedurfte.
Mit der Einführung des RVG ist § 126 Abs. 1 S. 2 BRAGO - wie auch § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO a.F. - ersatzlos weggefallen. Damit ist der beim Prozessgericht zugelassene, aber nicht ortsansässige Rechtsanwalt grundsätzlich nicht mehr gehindert, seine Reisekosten geltend zu machen. Soweit es in der Gesetzesbegründung zu § 46 RVG lapidar heißt:
"Die Regelung des § 126 Abs. 1 S. 2 BRAGO soll nicht übernommen werden, weil diese Vorschrift wegen § 121 Abs. 3 ZPO entbehrlich erscheint. Nach dieser Vorschrift kann ein bei dem Prozessgericht nicht zugelassener Rechtsanwalt nur beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen" (BT-Drucks. 15/1971, 200),
trifft dies zwar für die nicht zugelassenen Rechtsanwälte zu, lässt aber gleichzeitig erkennen, dass in diesem Zusammenhang seinerzeit übersehen worden ist, welche Auswirkungen der Wegfall der Norm auf die Kosten der zugelassenen Rechtsanwälte hatte.
Es ist auch keine andere Norm ersichtlich, die die Gerichte berechtigen könnte, die Erstattungsfähigkeit der Mehrkosten eines zugelassenen, aber nicht ortsansässigen Rechtsanwalts von der Erforderlichkeit gerade seiner Beauftragung abhängig zu machen und bei deren Verneinung die Beiordnung einzuschränken.
Nach § 46 Abs. 1 RVG, der inhaltlich § 126 Abs. 1 S. 1 BRAGO entspricht, werden Auslagen, insb. Reisekosten, des beigeordneten Rechtsanwalts zwar nicht vergütet, wenn sie zur sachgemäßen Durchführung der Angelegenheiten nicht erforderlich waren. Die Wahrnehmung eines Gerichtstermins durch den beigeordneten Rechtsanwalt ist aber zur sachgemäßen Durchführung der Angelegenheiten e...