Entscheidungsstichwort (Thema)
Bußgeldsache in Niedersachsen: Bußgeldbemessung bei jugendlichem Taschengeldempfänger wegen eines Corona-Verstoßes
Leitsatz (amtlich)
Zur Bußgeldbemessung bei jugendlichen Taschengeldempfängern (hier im Zusammenhang mit einem "Corona-Verstoß").
Normenkette
OWiG §§ 17, 98; Corona-VO NDS (n.a.Abk.) §§ 1 ff. Fassung: 2020-10-30
Verfahrensgang
AG Nordhorn (Entscheidung vom 22.10.2020) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Nordhorn vom 22.10.2020 wird vom rechts unterzeichnenden Einzelrichter zur Fortbildung des Rechts zugelassen.
Die Sache wird vom rechts unterzeichnenden Einzelrichter auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das vorgezeichnete Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den insoweit zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
I.
Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht die Betroffene, die zur Tatzeit knapp 16 Jahre alt war, wegen Verstoßes gegen die Niedersächsische Verordnung über die Beschränkung sozialer Kontakte zur Eindämmung der Corona Pandemie vom 07.04.2020 (im Folgenden: Verordnung) zu einer Geldbuße von 250 € verurteilt.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Betroffene mit ihrem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Sie macht geltend, dass eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Verurteilung nicht bestehe und die Geldbuße in Anbetracht der finanziellen Verhältnisse der Betroffenen zu hoch bemessen sei.
II.
Der rechts unterzeichnenden Einzelrichter hat die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts zugelassen, da Ausführungen zur Bemessung von Geldbußen bei Jugendlichen geboten erscheinen.
III.
1.
Die Rechtsbeschwerde hat hinsichtlich des Schuldspruches keinen Erfolg.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit zunächst auf das seitens des Amtsgerichtes Nordhorn in gewohnter Weise sehr sorgfältig begründete Urteil verwiesen.
Soweit die Betroffene rügt, § 28 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG - vom 20. Juli 2000, in der hier maßgeblichen Fassung vom 27.3.2020) verletze das Zitiergebot, da Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz nicht genannt sei, greift dieser Einwand nicht durch.
Denn das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG, welches § 28 Abs. 1 Satz 4 IfSG zu erfüllen sucht, besteht nur, soweit im Sinne des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG "ein Grundrecht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann". Von derartigen Grundrechtseinschränkungen sind andersartige grundrechtsrelevante Regelungen zu unterscheiden, die der Gesetzgeber in Ausführung der ihm obliegenden, im Grundrecht vorgesehenen Regelungsaufträge, Inhaltsbestimmungen oder Schrankenziehungen vornimmt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.5.1970 - 1 BvR 657/68 -, BVerfGE 28, 282, 289 - juris Rn. 26 ff. (zu Art. 5 Abs. 2 GG); Beschl. v. 12.1.1967 - 1 BvR 168/64 -, BVerfGE 21, 92, 93 - juris Rn. 4 (zu Art. 14 GG); Urt. v. 29.7.1959 - 1 BvR 394/58 -, BVerfGE 10, 89, 99 - juris Rn. 41 (zu Art. 2 Abs. 1 GG). Hierzu zählen auch die Grundrechte der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG, der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG und des Eigentumsschutzes nach Art. 14 Abs. 1 GG.
(OVG Lüneburg, Beschluss vom 14. April 2020 - 13 MN 63/20 -, Rn. 53, juris).
Ebenso wenig bestehen sonstige Bedenken hinsichtlich der Rechtsgrundlagen für den Erlass der Verordnung.
Rechtsgrundlage für den Erlass der Verordnung ist § 32 Satz 1 und 2 in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG.
Eine Verfassungswidrigkeit dieser Rechtsgrundlagen, insbesondere mit Blick auf die Bestimmtheit der getroffenen Regelungen und deren Vereinbarkeit mit dem Vorbehalt des Gesetzes, ist nicht gegeben:
Der Vorbehalt des Gesetzes verlangt im Hinblick auf Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot, dass der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen hat und nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive überlassen darf. Dabei betrifft die Normierungspflicht nicht nur die Frage, ob ein bestimmter Gegenstand überhaupt gesetzlich geregelt sein muss, sondern auch, wie weit diese Regelungen im Einzelnen zu gehen haben (sog. "Wesentlichkeitsdoktrin", BVerfG, Urt. v. 19.9.2018 - 2 BvF 1/15 u.a. -, juris Rn. 199). Inwieweit es einer Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber bedarf, hängt vom jeweiligen Sachbereich und der Eigenart des betroffenen Regelungsgegenstands ab (vgl. BVerfG, Urt. v. 24.9.2003 - 2 BvR 1436/02 -, juris Rn. 67 f. m.w.N.). Auch Gesetze, die zu Rechtsverordnungen und Satzungen ermächtigen, können den Voraussetzungen des Gesetzesvorbehalts genügen, die wesentlichen Entscheidungen müssen aber durch den parlamentarischen Gesetzgeber selbst erfolgen. Da...