Verfahrensgang
AG Nordhorn (Entscheidung vom 08.10.2020) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Osnabrück gegen das Urteil des Amtsgerichts Nordhorn vom 08.10.2020 wird vom rechts unterzeichnenden Einzelrichter zur Fortbildung des Rechts zugelassen.
Die Sache wird vom rechts unterzeichnenden Einzelrichter auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
Die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Osnabrück gegen das Urteil des Amtsgerichts Nordhorn vom 08.10.2020 wird auf Kosten der Landeskasse, die auch die dem Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen hat, als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Dem Betroffenen ist mit Bußgeldbescheid vom 30.6.2020 ein Verstoß gegen § 1 Abs. 1 der Niedersächsischen Verordnung über die Beschränkung sozialer Kontakte zur Eindämmung der Corona-Pandemie in der Fassung vom 24.4.2020 (im Folgenden: Verordnung) zur Last gelegt worden. (Seit dem 17.4.2020 hieß die Verordnung allerdings richtig: Verordnung zum Schutz vor Neuinfektionen mit dem Corona-Virus). Gegen ihn ist ein Bußgeld in Höhe von 200 Euro festgesetzt worden.
Ihm ist vorgeworfen worden, am Samstag den TT.MM.2020 um 0:05 Uhr in Ort1, Straße1 mit 6 weiteren Personen, die nicht mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt wohnten, bei einer Geburtstagsfeier in der Wohnung an der vorgenannten Wohnanschrift angetroffen worden zu sein. Er habe sich mit insgesamt 7 Personen in einer Gruppe in der Wohnung aufgehalten, um eine Geburtstagsfeier abzuhalten; der Mindestabstand zwischen ihnen sei nicht gewahrt worden. Alle angetroffenen Personen hätten alkoholisiert gewirkt.
Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht den Betroffenen vom Vorwurf aus Rechtsgründen freigesprochen. Es hat die Ansicht vertreten, dass § 1 Abs. 1 der Verordnung zu unbestimmt sei.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft Osnabrück mit ihrem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Sie ist der Auffassung die Vorschrift sei hinreichend bestimmt.
II.
Der Einzelrichter hat die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des materiellen Rechts gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 2 OWiG zugelassen und die Sache dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
III.
1.
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Der Senat teilt die überzeugend begründete Auffassung des Amtsgerichtes, dass der Bußgeldtatbestand des § 12 Abs. 1 der Verordnung iVm. § 1 Abs. 1 der Verordnung wegen Verletzung des Bestimmtheitsgebotes ungültig ist.
§ 12 Abs. 1 der Verordnung lautete in der zum Zeitpunkt der Tat maßgeblichen Fassung wie folgt:
Verstöße gegen die §§ 1 bis 2 b und 5 bis 10 stellen Ordnungswidrigkeiten nach § 73 Absatz 1a Nummer 24 IfSG dar.
§ 1 Abs. 1 der Verordnung lautete in der zum Zeitpunkt der Tat maßgeblichen Fassung wie folgt:
Jede Person hat physische Kontakte zu anderen Menschen, die nicht zu den Angehörigen des eigenen Hausstandes gehören, auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren.
2.
Der Senat hat im Rahmen seiner Entscheidung vom 09.07.2010 (vgl. DAR 2010, 477) mit der er den Bußgeldtatbestand der §§ 2 Absatz 3a Satz 1, 2, 49 Abs. 1 Ziffer 2 StVO alte Fassung für verfassungswidrig erklärt hat, zum Bestimmtheitsgebot folgendes ausgeführt:
"aa) Nach Art. 103 Abs. 2 GG kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Art. 103 Abs. 2 GG verpflichtet den Gesetzgeber demnach, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen (BVerfGE 47, 109, 120 m.w. Nachw.; BVerfGE 55, 144, 152; BVerfG, Beschluss vom 29.04.10, 2 BvR 871/04, 2 BvR 414/08, - juris -). Der Einzelne soll auf diese Weise von vornherein wissen können, was strafrechtlich verboten ist, damit er in der Lage ist, sein Verhalten danach einzurichten (st. Rechtsprechung des BVerfG, vgl. nur BVerfG, NJW 1978, 1423 mwN). Dies gilt nicht nur für Straf-, sondern auch für Bußgeldtatbestände (vgl. BVerfG, NJW 2010, 754; NJW 1986, 1671), so dass auch der Bußgeldtatbestand der §§ 24 StVG, 2 Abs. 3 a S. 1, 2, 49 Abs. 1 Ziff. 2 StVO am Maßstab des Art. 103 Abs. 2 GG zu messen ist.
Die Verpflichtung des Art. 103 Abs. 2 GG dient einem doppelten Zweck. Es geht einerseits um den rechtsstaatlichen Schutz des Normadressaten: Jedermann soll vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe oder der Auferlegung eines Bußgeldes bedroht ist. Im Zusammenhang damit soll andererseits aber auch sichergestellt werden, dass der Gesetzgeber über die Strafbarkeit oder die Bußgeldvoraussetzungen entscheidet. Insoweit enthält Art. 103 Abs. 2 GG einen strengen Gesetzesvorbehalt, der es der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt verwehrt, über die Voraussetzungen einer Bestrafung oder die Auferlegung eines Bußgeldes selbst zu entscheiden (BVerfGE 47, 109, 120; BVerfGE 75, 329, 340 f. = NJW 1987, 3175). Allerdings darf das Gebot der Gesetzesbestimmtheit nicht übersteigert werden. Die Gesetz...