Leitsatz (amtlich)
Nicht jede Überschreitung des Gutachtenauftrages oder jedes sonstige prozesswidrige oder untunliche Verhalten eines medizinischen Sachverständigen begründet seine Befangenheit.
Normenkette
ZPO §§ 42, 404, 406
Verfahrensgang
LG Aurich (Aktenzeichen 5 O 781/17) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Sachverständigen Prof. Dr. AA wird der Beschluss des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Aurich vom 21. März 2019 aufgehoben und das Verfahren zur Entscheidung über den Vergütungsantrag des Sachverständigen an das Landgericht zurückverwiesen.
Gründe
I. Im zugrundeliegenden Rechtsstreit hat die minderjährige Klägerin, vertreten durch ihre Eltern, das Kreiskrankenhaus in Ort2 verklagt, weil sie der Meinung gewesen ist, die dortige Behandlung in der Zeit vom TT. bis zum TT. MM 2014 sei fehlerhaft gewesen. Der Vorwurf ging dahin, dass die Behandler in der beklagten Klinik ihren schlechten Allgemeinzustand - sie hatte u.a. in den vorvergangenen drei Monaten zehn Kilo abgenommen - fälschlicherweise als Folge einer Erkrankung an Anorexia nervosa (vulgo: Magersucht) einordneten; tatsächlich sei der schlechte Zustand auf eine zystische Stauniere zurückzuführen gewesen, wie sie durch Nachbehandler habe erfahren müssen.
Der Beschwerdeführer, Chefarzt einer Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, ist vom Landgericht sodann zum Sachverständigen bestellt worden mit dem Auftrag, zu klären, ob die Diagnose und die Behandlung der Beklagten fehlerhaft gewesen seien.
In seinem Gutachten ist der Beschwerdeführer zu dem Ergebnis gekommen, dass die Diagnose der beklagten Klinik zutreffend gewesen sei und bei der Klägerin auch keineswegs eine zystische oder eine Stauniere vorgelegen habe; tatsächlich habe bei der Klägerin lediglich zudem eine angeborene Harntransportstörung (Hydronephrose) vorgelegen, was aber mit den geklagten Beschwerden, die Anlass für die Aufnahme im Haus der Beklagten waren, nichts zu tun gehabt habe; die damaligen Beschwerden seien vielmehr vollständig durch die zu diagnostizierende Anorexia nervosa zu erklären.
Nachdem der Beschwerdeführer die Beweisfragen im vorgenannten Sinne in seinem schriftlichen Gutachten beantwortet hatte, hat er in einem Schlussabsatz folgendes ausgeführt:
"Dem Gutachter ist bewusst, dass er die Tätigkeit der Ärzte der Kinderklinik Ort2 begutachten soll. Ferner ist ihm bewusst, dass das hier betroffene Mädchen spätestens mit Erreichen der Volljährigkeit in Kürze ihre Krankenunterlagen sowie dieses Gutachten selbst einsehen darf. Trotzdem müssen folgende Schlusssätze erlaubt sein.
Im Zeitraum von September 2014 bis Februar 2015 haben die Eltern mit ihrer Tochter EE mindestens 12 Ärzte/innen bzw. ärztliche Einrichtungen aufgesucht. Ein solches Verhalten bezeichnet man als Ärzte Hopping bzw. "Dr. Hopping". Häufig handelt es sich um ein psychisch krankhaftes Verhalten. Bewusst haben die Eltern von EE den jeweiligen Ärzten wichtige Informationen vorenthalten bzw. keine Arztbriefe der vorangegangenen Behandlungen mitgemacht. Obwohl EE nach Einlage des DJ - Katheters rezidivierend an Harnwegsinfekten erkrankte und Antibiotika erhielt, wurde den Ärzten der (...) gegenüber behauptet, Harnwegsinfekte seien nicht aufgetreten.
Für den Patienten - in diesem Fall das Kind - ist Ärzte Hopping nicht ungefährlich, denn die Chance, dass durch fehlende Informationen oder durch eine Diagnostik/Therapie durch fachfremde Ärzte Behandlungsfehler begangen werden, ist sehr groß. Durch das Ärzte Hopping musste EE unnötige Schmerzen erleiden, unnötige Narkosen und Operationen über sich ergehen lassen sowie unnötige Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte durchstehen. Es ist vollkommen unverständlich, warum ein knapp 14-jähriges schulpflichtiges Mädchen über Monate nicht die Schule besucht und weder Schule noch Jugendamt auf den Plan treten.
Nach mehrfachem Lesen der Krankenakten, die eine nur als grotesk zu bezeichnende Krankengeschichte eines 14-jährigen Mädchens dokumentieren, bleibt aus Expostsicht als Kinder - und Jugendarzt bedauerlicherweise festzustellen, dass nicht doch von den Kinderkliniken Ort2 und Ort4 im September 2014 das zuständige Jugendamt informiert wurde, um mithilfe des Amtsgerichts einen Sorgerechtsentzug zu erwirken. EE hätte im September 2014 in eine Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie oder Psychosomatik eingewiesen werden müssen."
Diese Ausführungen hat die Klägerin, vertreten durch ihre Eltern, zum Anlass genommen, den Beschwerdeführer nach § 406 ZPO wegen Befangenheit abzulehnen. Das Landgericht hat dem Gesuch entsprochen und zudem mit dem angefochtenen Beschluss dem Beschwerdeführer die Vergütung aberkannt.
Das Landgericht hat gemeint, dass der Beschwerdeführer seinen Gutachtenauftrag überschritten und durch die Angriffe auf die Eltern der Klägerin seine Verpflichtung zur Neutralität verletzt habe.
II. Die Beschwerde ist gemäß § 4 III JVEG statthaft.
Sie ist auch begründet. Die Voraussetzungen, dem Beschwerdeführer seine Vergütung abzuerkennen, weil er grob fahrlässig oder vo...