Entscheidungsstichwort (Thema)
Vollerbschaft
Leitsatz (amtlich)
Vollerbschaftsanordnung im notariellen Testament schließt Annahme von Vor- u. Nacherbschaft aus – qualifiziertes Auskunftsbegehren trotz zuvor erfolgter privatschriftlicher Auskunft.
Leitsatz (redaktionell)
Eine Vollerbschaftsanordnung im notariellen Testament schließt die Annahme von einer Vor- und Nacherbschaft aus.
Normenkette
BGB §§ 2314, 2314 Abs. 2-3, § 2265
Tatbestand
Die Klägerin begehrt im Wege der Stufenklage zur Bezifferung ihres Pflichtteils zunächst Auskunft über den Bestand des Nachlasses nach ihrer 1995 verstorbenen Mutter.
In dem gemeinsamen Testament der Erblasserin und des Beklagten vom 21.03.1974 – Urkundenrolle Nr. 101/74 des Notars S… C…, D… – heißt es zur Erbeinsetzung:
§ 1
Wir setzen uns gegenseitig als Erben in der Weise ein, daß der Überlebende Vollerbe sein soll.
§ 2
Erben des Längstlebenden von uns sind unsere Kinder, und zwar
M…, geb. am 14.10.1962
M…, geb. am 12.2.1966
Ersatzerben für unsere Kinder sollen ihre Abkömmlinge nach Maßgabe der gesetzlichen Erbfolge sein.
Auf das vorprozessuale Auskunftsbegehren hat der Beklagte mit Schreiben vom 08.05.1996 Angaben zum unbeweglichen und beweglichen Vermögen einschließlich eigener Werteinschätzungen gemacht, den Pflichtteil nach einer Quote von 1/8 und einem Aktivvermögen von 223.125,00 DM mit 27.890,00 DM errechnet und darauf 13.000,00 DM unter Zurückbehalten eines Betrages in Höhe von 15.000,00 DM wegen von der Klägerin herauszugebenden Nachlaßschmuckes gezahlt. Mit Anwaltsschreiben vom 16.10.1996 hat er die Angaben zum Nachlaß weiter präzisiert.
Die Klägerin hat diese Mitteilung zum Nachlaß für unvollständig gehalten und Auskunft durch Vorlage eines notariellen Verzeichnisses sowie Wertermittlung des Grundbesitzes unter Vorlage von Sachverständigengutachten verlangt.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, zu einer weitergehenden Auskunft und zur Einholung von Wertgutachten nicht verpflichtet zu sein.
Das Landgericht hat die Auskunftsklage durch Teilurteil insgesamt abgewiesen. Der Beklagte habe vorprozessual ausreichend Auskunft erteilt, als Nacherbin stehe der Klägerin kein Wertermittlungsanspruch zu und das Verlangen nach einem notariellen Nachlaßverzeichnis sei rechtsmißbräuchlich.
Mit der dagegen gerichteten Berufung verfolgt die Klägerin ihr qualifiziertes Auskunftsbegehren insgesamt weiter.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat in vollem Umfang Erfolg.
Der Beklagte ist auf der ersten Stufe der Pflichtteilsklage gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB verpflichtet, der Klägerin Auskunft über den Wert des Grundbesitzes durch Vorlage von unparteiischen Sachverständigengutachten und den Nachlaßbestand durch Vorlage eines notariell aufgenommenen Nachlaßverzeichnisses zu erteilen.
Die rechtliche Beurteilung des Landgerichts, das Testament enthalte eine Vor- und Nacherbeneinsetzung – die dem Wertermittlungsbegehren in der Tat entgegenstehen könnte – trifft nicht zu. Der Testamentswortlaut ist eindeutig. Die von dem Notar gewählte Formulierung, die den Beklagten als „Vollerben” ausweist und die Kinder als Erben des Längstlebenden, läßt ein anderes Verständnis nicht zu. Die Stellung eines in seiner Verfügungsbefugnis auch bei Annahme weitestgehender Befreiung gegenüber einem Vollerben beschränkten Nacherben ist damit nicht zu vereinbaren. Die in § 3 des Testamentes enthaltenen Vorbehalte für den Längstlebenden (Aussetzung von Vermächtnissen, Anordnung von Testamentsvollstreckungen, Teilungsanordnungen) und die Strafklausel in § 4 im Falle von Pflichtteilsverlangen der Kinder nach dem Erstversterbenden streiten nicht für eine Vor- und Nacherbschaft, sondern sind vor dem Hintergrund der Beschränkungen eines gemeinschaftlichen Testamentes zu sehen und dem Bestreben, dem Längstlebenden die umfassende Rechtsstellung zu verschaffen, die nur durch die angeordnete Vollerbenstellung zu erreichen ist. Daß auch in der Klageschrift auf S. 3 die „Beklagte” (gemeint: die Klägerin) als Nacherbin bezeichnet wird, steht dem nicht entgegen. Diese irrtümliche Bezeichnung durch den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin vermag an der wahren Rechtslage nichts zu ändern. Als pflichtteilsberechtigter Nichterbin steht der Klägerin der begehrte Wertermittlungsanspruch zu; auf die Möglichkeit, selbst ein Wertgutachten einzuholen, braucht sie sich nicht verweisen zu lassen.
Das Verlangen nach einem notariellen Nachlaßverzeichnis gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB ist nicht rechtsmißbräuchlich.
Zwar hat der Beklagte in den zwei vorprozessualen Schreiben umfangreich zu dem Nachlaßbestand – insbesondere zum Grundbesitz, zum Schmuck aber auch zu dem Nachlaß nach dem Großvater und dem Pkw der Erblasserin Stellung genommen und die Existenz von Guthaben verneint. Wenn die Klägerin insoweit weitere Unvollständigkeiten vermutet und behauptet, gibt ihr das keinen Anspruch auf „erneute” Auskunft, vielmehr müßte sie sich diesbezüglich auf die zweite Stufe – der Versicherung der Vollständigkeit und Richtigkeit – verweisen lassen; ...