Leitsatz (amtlich)
Eine in einem Vertrag über eine fondsgebundene Rentenversicherung wie folgt formulierte Belehrung über die Widerrufsfolgen:
"Im Falle eines wirksamen Widerrufs endet der Versicherungsschutz und wir erstatten Ihnen den Rückkaufswert nach § 169 Versicherungsvertragsgesetz, mindestens jedoch die gezahlten Beiträge. Die Erstattung zurückzuzahlender Beträge erfolgt unverzüglich, spätestens 30 Tage nach Zugang des Widerrufs."
setzt die Widerrufsfrist nach § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG nicht in Lauf, weil sie die Rechtsfolgen des Widerrufes nach §§ 9, 152 VVG unzureichend wiedergibt (entgegen BGH, Beschluss vom 14.05.2014, Az.: IV ZA 5/14, - zitiert nach juris -, Rn. 1, 6 und 16).
Normenkette
VVG § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, §§ 9, 152
Verfahrensgang
LG Schwerin (Urteil vom 03.11.2022; Aktenzeichen 2 O 163/22) |
Tenor
I. Die zulässige Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 03.11.2022 bezogen auf die Abweisung seiner Klage auf Rückabwicklung der im Oktober 2012 abgeschlossenen, fondsgebundenen Rentenversicherung zu der Vertragsnummer ... nach Widerruf im April 2019 dürfte nach dem bisherigen Sach- und Streitstand begründet sein.
II. Da den Parteien mit dieser Verfügung rechtliches Gehör mit der Möglichkeit weiteren schriftsätzlichen Vortrags eingeräumt wird, verspricht die Durchführung einer mündlichen Verhandlung keinen gesonderten Erkenntnisgewinn. Um einen damit verbundenen Zeit-, Arbeits- und Kostenaufwand zu vermeiden, rät der Senat zum Übergang ins schriftliche Verfahren.
Die Parteien werden für diesen Fall gebeten, binnen der hier gesetzten Frist mitzuteilen, ob sie
a) einem schriftlichen Verfahren gem. § 128 Abs. 2 ZPO zustimmen und
b) auf die Einreichung weitere Schriftsätze nach Anordnung des schriftlichen Verfahrens sowie
c) auf die gesonderte Mitteilung des Verkündungstermins
verzichten.
III. Der Beklagten wird aus wirtschaftlichen Gründen zur Kostenersparnis anheimgestellt, den Berufungsantrag anzuerkennen.
IV. Es ist beabsichtigt, den Streitwert auf bis 2.000,00 EUR festzusetzen.
V. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme - sowohl in der Sache wie zum Verfahrensvorschlag - binnen drei Wochen (zugleich Ablauf der Berufungserwiderungsfrist) nach Zustellung dieser Hinweisverfügung.
Gründe
Die zulässige Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 03.11.2022 erscheint nach vorläufiger Einschätzung der Sach- und Rechtslage begründet.
A. Der Kläger dürfte einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von weiteren - über den bereits im angefochtenen Urteil zugesprochenen Betrag hinsichtlich der Rückabwicklung der ersten fondsgebundenen Rentenversicherung zur Nr. YYY hinausgehenden - 1.657,72 EUR gemäß §§ 9 Abs. 1, 152 Abs. 1 VVG in Verbindung mit dem unstreitig zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrag zu der Nr. ... haben.
1. Vorauszuschicken ist, dass es sich bei der Angabe in dem Berufungsantrag in Höhe von demgegenüber "1.657,52 EUR" um ein offensichtliches Schreibversehen handelt. Der Kläger errechnet seine Forderung aus den geleisteten Beiträgen in Höhe von 2.400,00 EUR abzüglich der Teilauszahlung in Höhe von 670,46 EUR und des an ihn aufgrund seiner Kündigung ausgekehrten Rückkaufswertes in Höhe von 71,82 EUR. Damit ergibt sich der eingangs unter Ziffer 1) genannte Betrag, wobei der Klageantrag unter Heranziehung seiner Begründung auslegungsfähig ist (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 16.11.2016, Az.: VIII ZR 297/15, - zitiert nach juris -, Rn. 17 m.w.N.). Ein Verstoß gegen §§ 525 Satz 1, 308 Abs. 1 Satz 1 BGB geht daher nicht damit einher, wenn dem Kläger ein höherer als der nach dem (bloßen) Wortlaut seines Antrages bezifferter Betrag zugesprochen wird.
2. Der Kläger hat den hier behandelten Versicherungsvertrag wirksam widerrufen. Denn sein Widerruf war entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht verfristet; vielmehr hat die betreffende Frist gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VVG nicht zu laufen begonnen, weil die Beklagte den Kläger nicht entsprechend den Anforderungen dieser Vorschrift ausreichend über sein Widerrufsrecht belehrt hat. Dafür kann dahinstehen, ob der Belehrungstext unter formalen Gesichtspunkten ordnungsgemäß, d. h. deutlich gestaltet war; denn die Widerrufsbelehrung war jedenfalls inhaltlich defizitär, weil sie die Rechtsfolgen des Lösungsrechts nur ungenügend wiedergab.
a. Deren System unterliegt einer ausdifferenzierten Regelung zum einen unter Gesichtspunkt, ob der Versicherungsschutz mit Zustimmung des Versicherungsnehmers vor dem Ablauf der Widerrufsfrist beginnt, und zum anderen in Abhängigkeit davon, ob es sich um eine Lebensversicherung handelt.
aa. Übt der Versicherungsnehmer das Widerrufsrecht nach § 8 Abs. 1 VVG aus und hat er - ausdrücklich oder konkludent - einem Beginn des Versicherungsverhältnisses vor dem Ende der Widerrufsfrist zugestimmt, hat der Versicherer gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 VVG nur den auf die Zeit nach Zugang des Widerrufs entfallenden Teil der Prämien zu erstatten, wenn der Versicherungsnehmer in de...