Entscheidungsstichwort (Thema)
Durchführung des Abhilfeprüfungsverfahrens
Leitsatz (amtlich)
§ 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO sieht für alle Verfahren der sofortigen Beschwerde vor, dass das Gericht der ersten Instanz zunächst zu prüfen und darüber durch Beschluss zu entscheiden hat, ob es der Beschwerde abhilft. Es ist dem Gericht der ersten Instanz auch im Eilverfahren verwehrt, die Sache ohne Abhilfeentscheidung dem Beschwerdegericht vorzulegen.
Verfahrensgang
LG Stralsund (Aktenzeichen 6 O 251/11) |
Tenor
Die Sache wird zum Zwecke der Prüfung und Entscheidung im Abhilfeverfahren an das LG Stralsund zurückgegeben.
Gründe
Seit der Zivilprozessrechtsreform zum 1.1.2002 sieht die Zivilprozessordnung einheitlich nur noch das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegen Beschlüsse des Gerichts vor. Dies gilt auch für einen Beschluss, mit welchem der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen worden ist. Somit finden auf das Verfahren der sofortigen Beschwerde die §§ 567 ff. ZPO Anwendung. § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO sieht somit für alle Verfahren der sofortigen Beschwerde vor, dass das Gericht der ersten Instanz zunächst zu prüfen und darüber durch Beschluss zu entscheiden hat, ob es der Beschwerde abhilft (Gehrlein, MDR 2003, 547; Schneider, MDR 2003, 253; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 31. Aufl., § 572 Rz. 3; Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl., § 572 Rz. 1). Rechtsfehlerhaft hat das LG von der Durchführung des Abhilfeprüfungsverfahrens abgesehen und die Beschwerde dem Beschwerdegericht unmittelbar zur Entscheidung vorgelegt.
Zwar wird in Rechtsprechung und Literatur - wenn auch umstritten (vgl. Reichold in Thomas/Putzo, a.a.O., § 572 Rz. 1 m.w.N.; ablehnend Schneider, a.a.O.) - die Ansicht vertreten, dass das Abhilfeprüfungsverfahren keine zwingende Voraussetzung für das Verfahren vor dem Beschwerdegericht und die Beschwerdeentscheidung ist (so etwa OLG Frankfurt, Beschl. v. 30.4.2007 - 15 W 38/07, NJW-RR 2007, 1142; Beschl. v. 24.5.2002 - 5 W 4/02, OLGR 2002, 250; Beschl. v. 18.1.2002 - 13 W 4/02, OLGR 2002, 234; Gehrlein, a.a.O.; Zöller/Heßler, a.a.O., § 572 Rz. 4, Vollkommer, § 922 Rz. 13). Hieraus folgt, dass das Beschwerdegericht bei fehlerhafter oder unzulässig ergangener Abhilfeentscheidung des erstinstanzlichen Gerichts nicht zwingend die Sache an dieses zur Wiederholung des Abhilfeprüfungsverfahrens zurückgeben muss, sondern ggf. über dieses auch selbst entscheiden kann (OLG Frankfurt, Beschl. v. 18.1.2002, a.a.O.; Zöller/Heßler, a.a.O., § 572 Rz. 4; Gehrlein, a.a.O.). Darüber hinaus kann aus dieser Auffassung auch hergeleitet werden, dass insbesondere in eiligen Verfahren das Beschwerdegericht davon absehen kann, die Sache zunächst an das Gericht der ersten Instanz zur Durchführung des Abhilfeprüfungsverfahrens zu geben, wenn der Beschwerdeführer die Beschwerde unmittelbar gem. § 569 Abs. 1 ZPO beim Beschwerdegericht eingereicht und dadurch zu erkennen gegeben hat, dass er zur Verkürzung des Verfahrens auf das Abhilfeprüfungsverfahren verzichten wolle (OLG Frankfurt, Beschl. v. 24.5.2002, a.a.O.; Beschl. v. 30.4.2007, a.a.O.; Zöller/Heßler, a.a.O., § 572 Rz. 4; Gehrlein, a.a.O.). In den vorskizzierten Fällen, in denen Rechtsprechung und Literatur ein ordnungsgemäßes Abhilfeprüfungsverfahren für nicht zwingend erachten, liegt es also in der Entscheidungskompetenz des Beschwerdegerichts, ob es unmittelbar über die Beschwerde entscheidet oder dem Regelfall entsprechend ein ordnungsgemäßes Abhilfeprüfungsverfahren veranlasst. Nicht hergeleitet werden kann hieraus, dass es im freien Ermessen des Gerichts der ersten Instanz stehen soll, ob es sich den Mühen und dem Arbeitsaufwand des Abhilfeprüfungsverfahrens unterzieht oder das Verfahren auf die Beschwerde hin ohne jede eigene Prüfung dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorlegt. Das ist mit dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck der Entscheidungsüberprüfung im Wege der Selbstkontrolle gerade nicht vereinbar (so auch Senatsbeschluss vom 1.9.2010 - 3 W 148/10).
Da nicht ersichtlich ist, dass sich das LG mit dem umfassenden Vorbringen in der Beschwerdeschrift zur Überprüfung seiner Entscheidung auseinander gesetzt hat und in Anbetracht dessen, dass die Antragstellerin schon seit dem Jahre 2008 durch Inanspruchnahme verschiedentlicher rechtlicher Möglichkeiten versucht, ihr Ziel umzusetzen und infolge dessen eine besondere Eilbedürftigkeit weder erkennbar noch vom LG dargelegt ist, hält der Senat es für angemessen, dem LG die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit der Selbstüberprüfung zu eröffnen.
Fundstellen
Haufe-Index 3221640 |
MDR 2012, 1433 |