Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Abhilfeprüfungsverfahren
Leitsatz (amtlich)
Gemäß § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das Gericht der ersten Instanz für alle Verfahren der sofortigen Beschwerde - auch das einstweilige Verfügungsverfahren - zunächst zu prüfen und durch Beschluss darüber zu entscheiden, ob es der Beschwerde abhilft.
Normenkette
ZPO § 572 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Sache wird zum Zwecke der Prüfung und Entscheidung im Abhilfeverfahren an das LG Stralsund zurückgegeben.
Gründe
Seit der Zivilprozessrechtsreform zum 1.1.2002 sieht die Zivilprozessordnung einheitlich nur noch das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegen Beschlüsse des Gerichts vor. Dies gilt auch für einen Beschluss, mit welchem der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen worden ist. Somit finden auf das Verfahren der sofortigen Beschwerde die §§ 567 ff. ZPO Anwendung. § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO sieht somit für alle Verfahren der sofortigen Beschwerde vor, dass das Gericht der ersten Instanz zunächst zu prüfen und darüber durch Beschluss zu entscheiden hat, ob es der Beschwerde abhilft (Gehrlein, MDR 2003, 547; Schneider, MDR 2003, 253; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 31. Aufl., § 572 Rz. 3; Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl., § 572 Rz. 1). Rechtsfehlerhaft hat das LG von der Durchführung des Abhilfeprüfungsverfahrens abgesehen und die Beschwerde dem Beschwerdegericht unmittelbar zur Entscheidung vorgelegt.
Zwar wird in Rechtsprechung und Literatur - wenn auch umstritten (vgl. Reichold in Thomas/Putzo, a.a.O., § 572 Rz. 1 m.w.N.; ablehnend Schneider, a.a.O.) - die Ansicht vertreten, dass das Abhilfeprüfungsverfahren keine zwingende Voraussetzung für das Verfahren vor dem Beschwerdegericht und die Beschwerdeentscheidung ist (so etwa OLG Frankfurt, Beschl. v. 30.4.2007 - 15 W 38/07, NJW-RR 2007, 1142; Beschl. v. 24.5.2002 - 5 W 4/02, OLGR 2002, 250; Beschl. v. 18.1.2002 - 13 W 4/02, OLGR 2002, 234; Gehrlein, a.a.O.; Zöller/Heßler, a.a.O., § 572 Rz. 4, Vollkommer, § 922 Rz. 13). Hieraus folgt, dass das Beschwerdegericht bei fehlerhafter oder unzulässig ergangener Abhilfeentscheidung des erstinstanzlichen Gerichts nicht zwingend die Sache an dieses zur Wiederholung des Abhilfeprüfungsverfahrens zurückgeben muss, sondern ggf. über dieses auch selbst entscheiden kann (OLG Frankfurt, Beschl. v. 18.1.2002, a.a.O.; Zöller/Heßler, a.a.O., § 572 Rz. 4; Gehrlein, a.a.O.). Darüber hinaus kann aus dieser Auffassung auch hergeleitet werden, dass insbesondere in einigen Verfahren das Beschwerdegericht davon absehen kann, die Sache zunächst an das Gericht der ersten Instanz zur Durchführung des Abhilfeprüfungsverfahrens zu geben, wenn der Beschwerdeführer die Beschwerde unmittelbar gem. § 569 Abs. 1 ZPO beim Beschwerdegericht eingereicht und dadurch zu erkennen gegeben hat, dass er zur Verkürzung des Verfahrens ab das Abhilfeprüfungsverfahren verzichten wolle (OLG Frankfurt, Beschl. v. 24.5.2002, a.a.O.; Beschl. v. 30.4.2007, a.a.O.; Zöller/Heßler, a.a.O., § 572 Rz. 4; Gehrlein, a.a.O.). In den vorskizzierten Fällen, in denen Rechtsprechung und Literatur ein ordnungsgemäßes Abhilfeprüfungsverfahren für nicht zwingend erachten, liegt es also in der Entscheidungskompetenz des Beschwerdegerichts, ob es unmittelbar über die Beschwerde entscheidet oder den Regelfall entsprechend ein ordnungsgemäßes Abhilfeprüfungsverfahren veranlasst. Nicht hergeleitet werden kann hieraus, dass es im freien Ermessen des Gerichts der ersten Instanz stehen soll, ob es sich den Mühen und dem Arbeitsaufwand des Abhilfeprüfungsverfahrens unterzieht oder das Verfahren auf die Beschwerde hin ohne jede eigene Prüfung dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorlegt. Das ist mit dem vom Gesetzgeber verfolgten Zweck der Entscheidungsüberprüfung im Wege der Selbstkontrolle gerade nicht vereinbar.
Der Senat sieht vorliegend auch keine Veranlassung trotz fehlerhafter Nichtdurchführung des Abhilfeprüfungsverfahrens über die Beschwerde unmittelbar zu entscheiden. Dabei verkennt der Senat nicht, dass es sich um eine Beschwerde in einem einstweiligen Verfügungsverfahren handelt. Gleichwohl hat der Beschwerdeführer zur Begründung seiner Beschwerde mit Schriftsatz vom 12.8.2010 den bis dahin beschiedenen Antrag nur als Hilfsantrag und einen gänzlich neuen Antrag als Hauptantrag gestellt. In einem solchen Fall ist das Abhilfeprüfungsverfahren schon deshalb geboten, um dem Beschwerdeführer nicht den Instanzenzug zu verkürzen. Besondere Eile, die die Entscheidung des Senats erzwingt, besteht gleichfalls nicht, da der Beschwerdeführer das Beschwerdeverfahren zunächst über mehrere Wochen nicht betrieben hatte.
Fundstellen