Leitsatz (amtlich)
1. Es ist nicht Aufgabe des Staates, seine Bürger zu hindern, sich gesundheitlich - etwa durch exzessiven Alkoholgenuss - zu schädigen. Eine vom Staat zu akzeptierende Entscheidung des Betroffenen zur Selbstaufgabe setzt aber dessen freie Willensbildung voraus. Zu einer freien Willensbildung ist nicht fähig, wer außerstande ist, seine Entscheidungen von vernünftigen Erwägungen abhängig zu machen.
2. Eine Unterbringung gem. § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB kommt auch ohne Aussicht auf einen Therapieerfolg in Betracht. Es genügt die Verhinderung einer erheblichen Gesundheits- bzw. Lebensgefährdung. Unter diesen engen Voraussetzungen kann - unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit - auch ein Wegsperren des Betroffenen zu seinem Wohl zulässig sein.
3. Eine Unterbringung eines Alkoholkranken ohne Heilungsaussichten gem. § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB kann zu einem Wegsperren des Betroffenen auf Dauer führen. Die Bedeutung und die Intensität des mit einer Unterbringung verbundenen Eingriffs in die Freiheitsrechte des Betroffenen macht eine richterliche Sachaufklärung durch die Beauftragung eines extern tätigen Sachverständigen notwendig.
4. Gemäß § 70 f. Abs. 1 Nr. 2 FGG muss die Entscheidung, durch die eine Unterbringungsmaßnahme getroffen wird, die nähere Bezeichnung der Unterbringungsmaßnahme enthalten. Bei der Unterbringung eines 38-jährigen Mannes in der geschlossenen Abteilung eines Seniorenzentrums, in der fast ausschließlich Demenzkranke behandelt werden, bestehen erhebliche Zweifel, ob der Aufenthalt des alkoholkranken Betroffenen, der nicht an einer Demenz leidet, in einem Altersheim eine geeignete Unterbringung i.S.v. § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB darstellt.
Normenkette
BGB § 1906 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Neubrandenburg (Beschluss vom 16.09.2009; Aktenzeichen 4 T 128/09) |
Tenor
Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des LG Neubrandenburg vom 16.9.2009 - 4 T 128/09, aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.
Gründe
I. Der Betroffene wendet sich mit seiner sofortigen weiteren Beschwerde gegen die Genehmigung seiner Unterbringung durch das LG bis einschließlich 14.11.2009.
Der heute 38-jährige Betroffene ist Alkoholiker. Mit Schreiben vom 1.6.2007 regte die Oberärztin A. (im Folgenden: Sachverständige), die in diesem Verfahren als Sachverständige tätig geworden ist, in einem vorangegangenen Verfahren die Betreuung und Unterbringung des Betroffenen gem. § 1906 BGB an. Dieser Anregung entsprach das AG am selben Tag noch durch einstweilige Anordnung vom 1.6.2007. Auf Bitten des AG erstellte die Sachverständige ein Gutachten, welches eine Unterbringung des Betroffenen befürwortete. Durch Beschluss vom 30.8.2007 genehmigte die Betreuungsrichterin die Unterbringung bis zum 11.10.2007. Nach seiner Entlassung setzte der Betroffene seinen Alkoholkonsum fort. Am 31.1.2008 hielt die seinerzeit zuständige Betreuungsrichterin in einem Vermerk fest, dass eine weitere Betreuung aussichtslos sei. Wegen des Weiteren Inhalts des Vermerks wird auf Bl. 66 der Betreuungsakte des AG U. 2 XII 11/08 Bezug genommen.
Schon am 22.8.2008 regte die Sachverständige erneut die Einrichtung einer Betreuung für den Betroffenen an. Daraufhin ordnete das AG U. am 3.9.2008 durch eine andere Richterin die vorläufige Rechtsbetreuung des Betroffenen bis zum 3.3.2009 an.
Auch die Betreuungsakte, die Gegenstand des hiesigen Beschwerdeverfahrens ist, beginnt mit einem ärztlichen Attest der Sachverständigen für die Einrichtung einer Betreuung. Im Wege der einstweiligen Anordnung hat das AG am 14.5.2009 die Rechtsbetreuung des Betroffenen bis zum 15.11.2009 angeordnet. Der Beschluss ist nicht unterschrieben. Am 24.6.2009 hat die Sachverständige ein weiteres ärztliches Attest zur Akte gereicht, in welchem sie eine Unterbringung gem. § 1906 BGB befürwortete. Dieser Anregung hat das AG durch Beschluss vom 26.6.2009 zunächst für die Dauer von längstens sechs Wochen entsprochen. Auf ein Gutachten der Sachverständigen hat das AG durch einen weiteren Beschluss vom 7.8.2009 die Unterbringung des Betroffenen für ein Jahr genehmigt.
Wegen des Weiteren erst- und zweitinstanzlichen Sachstandes wird auf den angefochtenen Beschluss des LG verwiesen. Mit seiner am 2.10.2009 per Fax beim OLG eingegangenen "sofortigen Beschwerde" rügt der Betroffene, dass es schon an einer wirksamen Bestellung eines Betreuers fehle. Der Beschluss des AG Ueckermünde vom 14.5.2009, der seine Betreuung zum Gegenstand habe, sei unwirksam, weil die Richterin ihn nicht unterschrieben habe. Zu Unrecht sei das LG davon ausgegangen, dass die Sachverständige nicht befangen sei. Es sei aus verfassungsrechtlicher Sicht höchst bedenklich, wenn die Begutachtung durch den behandelnden Arzt erfolge. Der Hinweis des LG auf eine ständige abweichende Übung überzeuge nicht. In diesem Zusammenhang sei ferner zu beanstanden, dass das Gericht den Betroffenen nicht über die Begutachtung durch die Sachverständige in Kenntnis g...