Leitsatz (amtlich)
Die Abänderung einer nach Art. 12 Abs. 1 HKÜ getroffenen Rückführungsentscheidung kommt gemäß § 14 Nr. 2 IntFamRVG in Verbindung mit § 48 Abs. 1 FamFG in Betracht. Die Bedenken, dass die Zulässigkeit eines Abänderungsverfahrens dem Sinn und Zweck des HKÜ-Verfahrens auf zügige Rückführung des entführten Kindes entgegensteht, rechtfertigen den Ausschluss der gesetzlich vorgesehenen Verfahrensmöglichkeit eines Abänderungsverfahrens nicht.
Für das Abänderungsverfahren ist das Familiengericht zuständig. Aus der Zuständigkeit des Oberlandesgerichts für das Vollstreckungsverfahren gemäß § 44 Abs. 2 IntFamRVG lässt sich eine Zuständigkeit auch für das Abänderungsverfahren nicht herleiten (abweichend: OLG Hamm, Beschluss vom 13. Juli 2021 - 11 UF 71/21 -, zu § 14 Nr. 2 IntFamRVG a.F.).
Das Familiengericht kann im Rahmen des Abänderungsverfahrens die Vollstreckung gemäß § 14 Nr. 2 IntFamRVG in Verbindung mit § 93 Abs. 1 Nr. 4 FamFG einstellen. Die Lösung der Schwierigkeiten, die möglicherweise aus dem Nebeneinander der Zuständigkeit des Oberlandesgerichts für das Vollstreckungsverfahren nach § 44 Abs. 2 IntFamRVG und der Zuständigkeit des Familiengerichts für eine eventuelle Einstellung der Vollstreckung im Abänderungsverfahren entstehen, obliegt dem Gesetzgeber.
Normenkette
FamFG § 48 Abs. 1, § 93 Abs. 1 Nr. 4; IntFamRVG § 14 Nr. 2, § 44 Abs. 2; KiEntfÜbk Haag Art. 12 Abs. 1
Tenor
Der Senat erklärt sich bezüglich des Antrages der Antragstellerin auf Abänderung des Beschlusses des Oberlandesgerichts Rostock - 1. Familiensenat - vom 09.06.2023 (Az.: 10 UF 62/23) für unzuständig und verweist die Sache an das Amtsgericht Rostock - Familiengericht.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über den Antrag des Kindesvaters auf Rückführung des gemeinsamen Kindes L., geboren am ..., nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführungen (HKÜ) i.V.m. der Verordnung (EU) Nr. 2019/1111 des Rates vom 25.06.2019 über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen (Brüssel IIb-VO) nach Belgien.
Hinsichtlich des Sachverhalts wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die ausführliche Darstellung unter Ziffer I. des Beschlusses des Senats vom 09.06.2023 im Beschwerdeverfahren 10 UF 62/23 verwiesen. Nachdem sich die Kindeseltern u.a. über die Rückkehr der (hiesigen) Antragstellerin mit dem Kind nach Belgien verglichen hatten, erließ das Amtsgericht Rostock im Verfahren 14 F 65/23 auf dieser Grundlage am 05.05.2023 einen Beschluss, mit dem es u.a. die Rückführung des Kindes bis zum 10.06.2023 anordnete.
Der Senat hat die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde mit Beschluss vom 09.06.2023 (Az.: 10 UF 62/23) mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Frist zur Rückführung des Kindes bis zum 25.06.2023 verlängert wird.
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 22.06.2023 (Az.: 1 BvQ 64/23) den Antrag der (hiesigen) Antragstellerin, im Wege der einstweiligen Anordnung die Vollstreckung aus dem Beschluss des Senats vom 09.06.2023 auszusetzen, abgelehnt. Es hat ausgeführt, eine noch zu erhebende Verfassungsbeschwerde wäre jedenfalls offensichtlich unbegründet. Eine die Grundrechte, insbesondere das Elternrecht der Antragsgegnerin verletzende Auslegung und Anwendung des HKÜ und der Brüssel IIb-VO durch die Fachgerichte seien nicht erkennbar. Auch eine Folgenabwägung führe nicht zum Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung, da die Fachgerichte in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise eine schwerwiegende Gefahr des Schadens für das Kind durch die Rückführung verneint hätten.
Die gegen den Senatsbeschluss vom 09.06.2023 (Az.: 10 UF 62/23) erhobene Anhörungsrüge und den Antrag, die Vollziehung des Beschlusses auszusetzen und die Vollstreckung einzustellen, hat der Senat mit Beschluss vom 30.06.2023 zurückgewiesen.
Mit Schriftsatz vom 12.07.2023 beantragt die Antragstellerin nunmehr,
1. den Beschluss des OLG Rostock vom 09.06.2023, Az. 10 UF 62/23, auf Grund nachträglich entstandener Rückführungshindernisse abzuändern und den Antrag des Vaters auf Rückführung des Kindes L., geb. ..., zurückzuweisen
Und
2. die Vollstreckung des Beschlusses des OLG Rostock vom 09.06.2023, Az. 10 UF 62/23, einstweilen auszusetzen gemäß § 93 I 1 Nr. 4 FamFG i.V.m. § 14 Abs. 2 IntFamRVG.
Sie begründet die Anträge damit, dass zu beachtende Rückführungshindernisse gemäß § 13 HKÜ entstanden seien, nachdem die Rückführungsentscheidung bereits unanfechtbar geworden ist. Das zweite Kind der Antragstellerin, der Sohn A., habe den Willen geäußert, in Deutschland zu verbleiben, so dass die Trennung von der Antragstellerin drohe. Es handele sich um einen beachtlichen und unbeeinflussten Kindeswillen. Die Antragstellerin besitze zwar das vollständige Sorgerecht für A., jedoch würde die Ausübung des Sorgerechtes gegen den Willen des Kindes in diesem Falle nicht dem Kinde...