Leitsatz (amtlich)
Eine (inzidente) Überprüfung der Entscheidungen des Gerichtes des Heimatstaates zum Sorge- oder Umgangsrecht findet im Rückführungsverfahren nach dem HKÜ grundsätzlich nicht statt. Das Rückführungsverfahren dient gerade (auch) dazu, die Entscheidungszuständigkeit der Gerichte des Heimatstaates zu wahren und das Verfahren im Heimatstaat des Kindes sicherzustellen. Ist im Heimatstaat bereits aktuell eine Umgangsregelung getroffen worden, hat das HKÜ-Gericht diese Entscheidungen zu respektieren. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn es Zweifel an einem rechtsstaatlichen Verfahren im Heimatland des Kindes gibt.
Normenkette
Brüssel IIb-VO Art. 22; Brüssel IIb-VO Art. 27 Abs. 3; KiEntfÜbk Haag Art. 3, 12-13; EMRK Art. 8
Verfahrensgang
AG Rostock (Beschluss vom 05.05.2023; Aktenzeichen 14 F 65/23) |
Tenor
I. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Rostock - Familiengericht - vom 05.05.2023 (14 F 65/23) wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Frist zur Rückführung des Kindes bis zum 25.06.2023 verlängert wird und der Tenor zu Ziffern 1. - 4. wie folgt neu gefasst wird:
1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, das Kind L., geboren am ..., derzeit aufhältig: ..., bis zum 25.06.2023 nach Belgien zurückzuführen.
2. Für den Fall, dass die Antragsgegnerin ihrer Verpflichtung gemäß Ziffer 1. nicht nachkommt, wird die Herausgabe des Kindes L., geboren am ..., an den Antragsteller zum Zwecke der sofortigen Rückführung nach Belgien angeordnet.
3. Die Antragsgegnerin wird darauf hingewiesen, dass das Gericht im Falle der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung zu 2. ein Ordnungsgeld von bis zu 25.000,00 Euro sowie für den Fall, dass das Ordnungsgeld nicht beigetrieben werden kann oder die Anordnung eines Ordnungsgeldes keinen Erfolg verspricht, Ordnungshaft bis zu 6 Monaten anordnen kann.
4. Zum Vollzug von 2. wird angeordnet:
- Der zuständige Gerichtsvollzieher wird beauftragt und ermächtigt, das unter 1. aufgeführte Kind der Antragsgegnerin oder jeder anderen Person, bei der sich das Kind aufhält, wegzunehmen und es dem Antragsteller oder einer von ihm bestimmten Person an Ort und Stelle zu übergeben.
- Der Gerichtsvollzieher wird beauftragt und ermächtigt, zur Durchsetzung der Herausgabe unmittelbaren Zwang gegen jede zur Herausgabe verpflichtete Person und im erforderlichen (behutsamen) Maße auch gegen das Kind nach Maßgabe des § 90 Abs. 2 FamFG anzuwenden.
- Der Gerichtsvollzieher wird zum Betreten und zur Durchsuchung der Wohnung der Antragsgegnerin und der Wohnung jeder anderen Person, bei der sich das Kind aufhält, ermächtigt.
- Der Gerichtsvollzieher wird ermächtigt, die vorgenannten Vollstreckungsmaßnahmen erforderlichenfalls auch zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen vorzunehmen.
- Der Gerichtsvollzieher wird zur Hinzuziehung polizeilicher Vollzugsorgane ermächtigt.
- Das Jugendamt der Hanse- und Universitätsstadt Rostock ist verpflichtet, Vorkehrungen zur Gewährleistung der sicheren Herausgabe des Kindes L., geboren am ..., an den Antragsteller zu treffen, das Kind nach Vollstreckung der Herausgabe gegebenenfalls vorläufig bis zur Rückführung in die Obhut einer für geeignet befundenen Einrichtung oder Person zu geben.
Eine Vollstreckungsklausel ist nicht erforderlich.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Verfahrenswert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten über die Rückführung des gemeinsamen Kindes L., geboren am ..., nach dem Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführungen (HKÜ) i.V.m. der Verordnung (EU) Nr. 2019/1111 des Rates vom 25.06.2019 über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen (Brüssel IIb-VO).
Der Antragsteller (Kindesvater) ist belgischer Staatsangehöriger, die Antragsgegnerin (Kindesmutter) ist deutsche Staatsangehörige. Beide waren und sind nicht miteinander verheiratet. Sie sind die Eltern des Kindes L.. L. wurde am ... in Anderlecht geboren und besitzt sowohl die deutsche, als auch die belgische Staatsangehörigkeit. Die Kindeseltern haben sich 2018 voneinander getrennt. L. lebte dann ausschließlich bei der Kindesmutter in Belgien. Die Kindeseltern stritten und streiten in mehreren Verfahren in Belgien über das Sorge- und Umgangsrecht für L.. Die Kindesmutter hat zudem aus einer früheren Beziehung einen Sohn, A.. Der Kindesvater hat ebenfalls einen Sohn aus einer anderen Beziehung, L..
Am 22.12.2022 reiste die Kindesmutter mit beiden Kindern nach Deutschland zu ihrem Bruder nach B.. Zu diesem Zeitpunkt stand den Kindeseltern das elterliche Sorgerecht für L. gemeinsam zu. Die Kindesmutter begab sich in Deutschland für einen stationären Aufenthalt in die Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsklinik Rostock. Sie befand sich zunächst vom 02.01.2023 bis zum 14.03.2023 in off...