Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung des Erbschaftsprozesses wegen laufendem Erbscheinsverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Es ist unzulässig, einen zivilrechtlichen Erbschaftsprozess bis zu einer Entscheidung in einem gleichzeitig betriebenen Erbscheinsverfahren auszusetzen, weil es an der Vorgreiflichkeit fehlt.
2. Reine Zweckmäßigkeitserwägungen rechtfertigen eine Aussetzung nach § 148 ZPO nicht.
Verfahrensgang
LG Neubrandenburg (Aktenzeichen 4 O 536/22) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Landgerichts Neubrandenburg vom 20.02.2023 - Az.: 4 O 536/22 - aufgehoben.
Gründe
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin verklagt den Beklagten auf Rückzahlung eines Darlehens i.H.v. 41.800 EUR an die Erbengemeinschaft nach der gemeinsamen Mutter. Der Beklagte ist der Bruder der Klägerin.
Das Darlehen wurde dem Beklagten von der Erblasserin, J. M., gewährt. J. M. verstarb am 21.01.2022. Die Erblasserin hinterließ ein notarielles Testament des Notars Dr. V. G. mit Amtssitz in W. (M.) vom 02.04.2019, in welchem sie unter Widerruf sämtlicher vorheriger Testamente die Beschwerdeführerin zu 2/3 und deren Schwester, E. M., zu 1/3 als ihre Erben einsetzte.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass das vorgenannte notarielle Testament unwirksam sei, weil die Erblasserin im Zeitpunkt der Erstellung des Testaments nicht testierfähig gewesen sei. Deshalb sei ein älteres handschriftliches Testament der Erblasserin vom 18.12.2012, welches den Beklagten zum Alleinerben einsetzt, allein wirksam.
Die Klägerin und der Beklagte haben mit jeweils gegenläufigen Anträgen vor dem Nachlassgericht am Amtsgericht W. (M.) die Erteilung von Erbscheinen beantragt. Das Verfahren wird dort unter dem Az. 503 VI 322/22 geführt.
Das Landgericht Neubrandenburg ist der Auffassung, dass das Klageverfahren gemäß § 148 ZPO auszusetzen sei, bis das Nachlassgericht über die Erbscheinsanträge entschieden habe. Diese Rechtsauffassung teilte das Landgericht N. bereits mit Beschluss vom 02.02.2023 mit und gab den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 17.02.2023 hierzu umfassend vorgetragen und die Ansicht vertreten, dass eine Vorgreiflichkeit der Entscheidung im Erbscheinsverfahren nicht gegeben sei.
Mit Beschluss vom 20.02.2023 hat das Landgericht N. den Erbrechtsprozess bis zur Entscheidung im Erbscheinsverfahren ausgesetzt.
Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die Klägerin stütze sich zur Begründung des geltend gemachten Anspruchs auf das notarielle Testament der Erblasserin vom 02.04.2019, worin die Erblasserin die Klägerin und ihre Schwester als Erbinnen eingesetzt habe. Allerdings bestehe sowohl im vorliegenden Prozess als auch im Erbscheinsverfahren, in dem die hiesigen Parteien unterschiedliche Erbscheinsanträge gestellt haben, Streit über die Testierfähigkeit der Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung des notariellen Testaments vom 02.04.2019, und zwar unter Berücksichtigung dessen, dass das Amtsgericht W./M. bereits, als Betreuungsgericht, das nervenfachärztliche Gutachten des Facharztes für Neurologie und Nervenheilkunde M.-F. vom 14.01.2020 eingeholt habe, wonach die Erblasserin schon seit Anfang 2019 und auch zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Gutachtens wegen einer schweren Demenz nicht mehr in der Lage gewesen sein solle, ihre Angelegenheiten, insbesondere ihre Vermögensangelegenheiten, zu besorgen und wirksame Willenserklärungen abzugeben. Sollte jedoch dieses notarielle Testament der Erblasserin vom 02.04.2019 unwirksam sein, würde das frühere Testament der Erblasserin vom 18.12.2012 wieder wirksam werden, in welchem der Beklagte zum Alleinerben der Erblasserin eingesetzt worden war. Daher wird im Nachlassverfahren die Frage der Testierfähigkeit der Erblasserin zum Zeitpunkt der Errichtung des notariellen Testamentes vom 02.04.2019 weiter geprüft, um entscheiden zu können, welchen Inhalt der Erbschein haben wird.
Damit sei die Entscheidung des Nachlassgerichts im Erbscheinsverfahren über die wechselseitigen Erbscheinsanträge der hiesigen Parteien jedenfalls im weiteren Sinne für den hiesigen Rechtsstreit vorgreiflich, nämlich für die Frage, ob die Klägerin und ihre Schwester tatsächlich die Erbinnen der Erblasserin sind oder der Beklagte der Erbe der Erblasserin ist.
Es sei zwar zutreffend, dass das Prozessgericht zur Frage der Testierfähigkeit der Erblasserin eigene Feststellungen treffen und von der Entscheidung des Nachlassgerichts abweichen kann. Allerdings sei zu beachten, dass nach § 2365 BGB die Richtigkeit des Inhalts eines Erbscheins vermutet wird. Hinzu komme, dass das Nachlassgericht Feststellungen zur Frage der Testierfähigkeit der Erblasserin zu treffen hat und ein im Erbscheinsverfahren eingeholtes Gutachten im hiesigen Prozess nach § 411a ZPO verwertet werden könne.
Unabhängig davon wäre nicht nur eine doppelte Beweisaufnahme nicht sinnvoll. Vielmehr könne ferner nicht außer Betracht bleiben, dass eventuell divergierende Entscheidun...