Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflichten des sog. "Idealfahrers" beim Auffahren von einem Grundstück auf eine öffentliche Straße
Leitsatz (amtlich)
Der Führer eines landwirtschaftlichen Gespanns, der von einem Grundstück auf eine öffentliche Straße einbiegt, in die er ca. 90 m weit einsehen kann, muss sich - um den Beweis der Unabwendbarkeit gem. § 17 Abs. 3 StVG zu führen - eines sog. Einweisers bedienen. Einem "Idealfahrer" muss in einer solchen Verkehrssituation bewusst sein, dass sich auf der vorfahrtsberechtigten Kreisstrasse Fahrzeuge mit hoher Geschwindigkeit nähern können, denen er mit Sicherheit die Vorfahrt nehmen würde.
Normenkette
StVG § 17 Abs. 3
Verfahrensgang
LG Neubrandenburg (Urteil vom 03.12.2009) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das am 3.12.2009 verkündete Urteil des LG Neubrandenburg teilweise - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen - geändert und neu gefasst:
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin 50 % der Aufwendungen zu erstatten, die ihr für den bei ihr versicherten Herrn ..., geboren am 20.10.1995, anlässlich des Unfallereignisses vom 30.7.2003 auf der K., Abschnitt ..., Kilometer ... in der Nähe der Brücke A 19 zwischen ... und ... zukünftig entstehen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, falls nicht die Beklagten vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Gegenstandswert des Berufungsverfahrens: bis 26.000 EUR.
Gründe
I. Die Klägerin fordert von den Beklagten als Gesamtschuldner Schadensersatz aus übergegangenem Recht ihres Versicherten ... aufgrund eines Verkehrsunfalles vom 30.7.2003. Die Beklagten haben erstinstanzlich die Höhe der Klageforderung mit Nichtwissen bestritten. Zu den Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat Bezug auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, mit dem die Einzelrichterin die Klage abgewiesen hat mit der Begründung, den Beklagten zu 1) treffe keine Verschulden an dem Unfall, insbesondere habe er nicht gegen § 10 StVO verstoßen und sich keines Einweisers bedienen müssen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihre erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche weiter verfolgt. Zur Begründung trägt sie vor: Alle drei Sachverständige seien zu der Auffassung gelangt, dass in Anbetracht der örtlichen Gegebenheiten und der eingeschränkten Sichtverhältnisse der Unfall durch Postierung eines Einweisers hätte vermieden werden können. Außerdem seien die Sichtverhältnisse für den Beklagten zu 1) an der Unfallstelle durch am Straßenrand befindliche Bäume eingeschränkt gewesen. Es sei nicht nachvollziehbar, wenn das LG ausführe, der Beklagte zu 1) habe nicht gegen § 10 StVO verstoßen, da er sich keines Einweisers hätte bedienen müssen. Bei Berücksichtigung der unzweifelhaft bestehenden erheblich eingeschränkten Sichtverhältnisse hätte das LG zu einer anderen Auffassung gelangen müssen. Der Beweis des ersten Anscheins spreche für ein Verschulden des Ein- bzw. Ausfahrenden, hier des Beklagten zu 1). Von dem Einfahrenden werde ein Höchstmaß an Sorgfalt gefordert. Der Beklagte zu 1) hätte damit rechnen müssen, dass sich ein Verkehrsteilnehmer mit einer für die örtlichen Gegebenheiten unangepassten hohen Geschwindigkeit näherte.
Der Versicherte der Klägerin habe nicht damit rechnen müssen, dass in einer landwirtschaftlich genutzten Region, gerade in den Sommermonaten, auf die Hauptstraße einbiegende landwirtschaftliche Fahrzeuge entgegen kämen. Dem Versicherten sei keine unangemessene hohe, schon gar nicht eine überhöhte Geschwindigkeit zur Last zu legen.
Nach den Ausführungen des Sachverständigen ... stehe fest, dass das Gespann noch nicht vollumfänglich auf die K. aufgefahren gewesen sei. Wo sich der Traktor zum Zeitpunkt der Erkennbarkeit des Krades befunden habe und ob es dem Versicherten bei erster Wahrnehmbarkeit deshalb nicht noch möglich gewesen wäre, links an dem Traktor vorbeizufahren, erschließe sich aus den gutachterlichen Ausführungen nicht. Insoweit regt die Klägerin an, den Sachverständigen ergänzend zu befragen.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des LG Neubrandenburg, 4 O 33/07, vom 3.12.2009 aufzuheben und wie folgt zu erkennen:
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 23.922,02 EUR nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 18.5.2004 zu zahlen,
2. es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche Aufwendungen zu erstatten, die ihr für den bei ihr versicherten ..., geboren am 20.10.1995, anlässlich des Unfallereignisses vom 30.7.2003 auf der K., Abschnitt ..., Kilometer ..., in der Nähe der Brücke A., zwischen ... und ... zukünftig entstehen.
Die Bekla...