Entscheidungsstichwort (Thema)
Vollziehung einer Handlungs-(Gebots-)Verfügung
Normenkette
ZPO §§ 887-888, 929 Abs. 2, § 936
Verfahrensgang
LG Stralsund (Urteil vom 15.11.2005; Aktenzeichen 4 O 449/05) |
Tenor
Auf die Berufung des Verfügungsbeklagten werden das am 15.11.2005 verkündete Urteil des LG Stralsund, Az.: 4 O 449/05, aufgehoben und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Verfügungskläger zu tragen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 25.000 EUR.
Gründe
I. Der Rechtsstreit hat den Erlass einer einstweiligen Verfügung zum Gegenstand, mit der der Verfügungskläger vom Verfügungsbeklagten den ungehinderten Zutritt zu sämtlichen Räumlichkeiten einer von beiden betriebenen Gemeinschaftspraxis für Nieren- und Hochdruckkrankheiten begehrt. Wegen der näheren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das LG hat die erlassene einstweilige Verfügung - auf den dagegen eingelegten Widerspruch hin - bestätigt. Begründend hat es ausgeführt, dem Verfügungskläger stehe ein Anspruch auf Wiedereinräumung des Mitbesitzes, der ihm vom Verfügungsbeklagten im Wege verbotener Eigenmacht entzogen worden sei, aus §§ 861 Abs. 1, 866, 858 Abs. 1 BGB i.V.m. §§ 936, 940 ZPO zu. Zu weiteren Einzelheiten wird auch insofern auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe verwiesen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und rechtzeitig begründete Berufung des Verfügungsbeklagten. Er bringt vor, das erstinstanzliche Urteil sei rechtsfehlerfrei, denn das LG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Parteien des Rechtsstreits "Mitbesitzer" i.S.d. § 866 BGB hinsichtlich des Praxisgebäudes und des Praxisinventars waren. Besitzschutzansprüche stünden allein der Gesellschaft einer hier vorliegenden "unternehmenstragenden Mitunternehmer-GbR" zu. Mit dem rechtswirksamen Ausspruch der fristlosen Kündigung sei der Verfügungskläger aus der Gesellschaft ausgeschieden und er, der Verfügungsbeklagte, habe als verbleibender Gesellschafter die wirtschaftliche Tätigkeit derselben fortgesetzt. Das Gesellschaftsvermögen - unter Einschluss der Besitzlage - habe sich in seinem Alleinbesitz als letztem Gesellschafter umgewandelt. Schon von daher hätten Besitzschutzansprüche des Verfügungsklägers nicht mehr bestanden.
Außerdem sei ein Rechtsschutzbedürfnis für die erlassene einstweilige Verfügung entfallen. Der Verfügungskläger sei - unstreitig - in B. zur kassenärztlichen Versorgung zugelassen. Dies stehe seiner Berufsausübung in der Gemeinschaftspraxis mit dem Verfügungsbeklagten entgegen.
Zudem sei die einstweilige Verfügung aufzuheben, da die Vollziehungsfrist des § 929 ZPO nicht gewahrt sei. Bei einer einstweiligen Verfügung, mit der - wie vorliegend - die Vornahme einer realen Handlung angeordnet worden sei, sei die Vollziehungsfrist nur gewahrt, wenn innerhalb der Monatsfrist des § 929 ZPO die Handlung vorgenommen oder der dazu notwendige Zwangsantrag gestellt werde. Beides sei nicht geschehen.
Der Verfügungsbeklagte beantragt, das Urteil des LG Stralsund, Az.: 4 O 449/05, aufzuheben und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Der Verfügungskläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und wiederholt im Wesentlichen seinen Vortrag aus erster Instanz. Weiter meint er, die Vollziehungsfrist sei gewahrt. Der Beschluss des AG Greifswald über die erlassene einstweilige Verfügung sei dem Verfügungsbeklagten im Parteibetrieb zugestellt worden; das sei zur Wahrung der Vollziehungsfrist ausreichend.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Parteischriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Akteninhalt im Übrigen Bezug genommen.
II. Die zulässige Berufung hat Erfolg. Es kann dahinstehen und bedarf keiner Entscheidung, ob die einstweilige Verfügung zu Recht erlassen worden ist, also ob das LG zutreffend von einem Besitzanspruch des Verfügungsklägers ausgegangen ist, ebenso wie offen bleiben kann, ob im Nachhinein (jedenfalls) das Rechtsschutzbedürfnis für die einstweilige Verfügung entfallen ist.
Denn der Verfügungsbeklagte hat zu Recht eingewendet, dass die einstweilige Verfügung nicht in der Frist der §§ 936, 929 Abs. 2 ZPO vollzogen worden ist.
1. Grundsätzlich ist dies zwar ein Einwand, der eine Aufhebung wegen veränderter Umstände nach §§ 936, 927 ZPO rechtfertigt. Es entspricht aber allgemeiner Meinung, dass die veränderten Umstände auch im Widerspruchs- oder im Rechtsmittelverfahren vorgetragen werden können; für ein Aufhebungsverfahren nach § 927 ZPO kann insoweit das Rechtsschutzbedürfnis fehlen oder entfallen (Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 22. Aufl., § 929 Rz. 17; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 927 Rz. 2; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 27. Aufl., § 927 Rz. 4, jeweils m.w.N.).
In Fällen der vorliegenden Art hat dies zugleich zur Folge, dass bereits der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen ist, ohne d...