Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergütung eines kinderpsychologischen Sachverständigen in familiengerichtlichen Verfahren
Leitsatz (amtlich)
Die Überprüfung des zur Erstellung eines kinderpsychologischen Gutachtens notwendigen Zeitaufwandes auf Plausibilität kann nicht anhand von Richtwerten, die sich an der Seitenzahl orientieren, vorgenommen werden. Ebenso OLG Koblenz 13.11.2012 14 W 620/12 Entgegen OLG Braunschweig 06.10.2016 2 W 62/15 Entgegen LSG Schleswig Holstein 08.10.2012 L 5 SF 64/11 KO
Normenkette
JVEG §§ 4, 8
Verfahrensgang
AG Calw (Beschluss vom 03.04.2018; Aktenzeichen 7 F 185/15) |
Tenor
1. Die Beschwerde der Bezirksrevisorin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Calw - Familiengericht - vom 02.03.2018 (Az.: 7 F 186/15) wird zurückgewiesen.
2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Mit Beschluss vom 02.03.2018 hat das Amtsgericht Calw die Vergütung des kinderpsychologischen Sachverständigen Prof. Dr. Renner gemäß § 4 JVEG auf 5.898,12 EUR festgesetzt. Die hiergegen von der Bezirksrevisorin als Vertreterin der Staatskasse eingelegte Beschwerde ist gemäß § 4 Abs. 3 JVEG statthaft und auch im Übrigen zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Nach §§ 8 Abs.1 Nr. 1, 9 JVEG erhält der Sachverständige als Vergütung für seine Leistungen ein Honorar, das nach Stundensätzen zu bemessen ist. Gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1 JVEG ist die für die Begutachtung erforderliche Zeit einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten anzusetzen. Bei der Festsetzung ist ein objektiver Durchschnittsmaßstab unter Berücksichtigung des Umfangs und des Schwierigkeitsgrades der zu beantwortenden Beweisfragen zugrunde zu legen (Meyer/Höver/Bach/Oberlack/Jahnke, JVEG, 27. Auflage 2018, § 8 JVEG, Rdnr. 13; Hartmann, Kostengesetze, 48. Auflage 2018, § 8 JVEG, Rdnr. 35). Maßgeblich ist nicht der tatsächliche Zeitaufwand des von dem Gericht bestellten Sachverständigen, sondern der Zeitaufwand, den ein Sachverständiger mit durchschnittlichen Fähigkeiten und Kenntnissen braucht, um sich nach sorgfältigem Aktenstudium ein Bild von den zu beantwortenden Fragen machen zu können und nach eingehenden Überlegungen seine gutachterliche Stellungnahme zu den ihm gestellten Fragen schriftlich niederzulegen. Dabei sind der Umfang des ihm unterbreiteten Streitstoffs, der Grad der Schwierigkeit der zu beantwortenden Frage unter Berücksichtigung seiner Sachkunde auf dem betreffenden Gebiet, der Umfang seines Gutachtens und die Bedeutung der Streitsache angemessen zu berücksichtigen (BVerfG, Beschluss vom 26.07.2007, 1 BvR 55/07; BGH, Beschluss vom 16.12.2003, X ZR 206/98; OLG Braunschweig, Beschluss vom 06.10.2016, 2 W 62/15).
Im Rahmen der Festsetzung hat das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu überprüfen, ob der vom Sachverständigen genannte Zeitaufwand auch wirklich erforderlich war. Dabei wird zunächst von der Richtigkeit der Angaben des Sachverständigen auszugehen sein. Anlass zur Nachprüfung besteht erst dann, wenn der geltend gemachte Zeitaufwand im Verhältnis zur erbrachten Leistung außergewöhnlich hoch erscheint. Ist der geltend gemachte Zeitaufwand plausibel, weicht er also nicht erheblich von den Erfahrungswerten für vergleichbare Fälle ab, bestehen regelmäßig keine Bedenken gegen die Festsetzung nach den Angaben des Sachverständigen (Meyer/Höver/Bach/Oberlack/Jahnke, § 8 JVEG, Rn. 14 m.w.N.). Die von Teilen der Rechtsprechung bei dieser Plausibltiätskontrolle praktizierte Anwendung von Richtwerten der erforderlichen Zeit für Aktenstudium (LSG Schleswig Holstein, Beschluss vom 08.10.2012, L 5 SF 64/11 KO: 100 bis 150 Seiten pro Stunde; OLG Braunschweig, Beschluss vom 12.02.2016, 1 Ws 365/15: 200 Seiten pro Stunde; OLG Braunschweig, Beschluss vom 06.10.2016: 50 Seiten pro Stunde), Diktat von Anamnese bzw. Wiedergabe der Gesprächs- und Testinhalte (OLG Braunschweig, Beschluss vom 12.02.2016, 1 Ws 365/15: 6 Seiten pro Stunde; OLG Braunschweig, Beschluss vom 06.10.2016: 5 bis 6 Seiten pro Stunde), Beurteilung und Beantwortung der Beweisfragen (OLG Braunschweig, Beschluss vom 12.02.2016, 1 Ws 365/15: 1 Seite pro Stunde; OLG Braunschweig, Beschluss vom 06.10.2016: 1 bis 3 Seiten pro Stunde) und Korrektur einschließlich abschließender Durchsicht (OLG Braunschweig, Beschluss vom 12.02.2016, 1 Ws 365/15: 12 Seiten pro Stunde; OLG Braunschweig, Beschluss vom 06.10.2016: kein gesonderter Ansatz) hält das Beschwerdegericht angesichts der Variationsbreite an Beweisfragen in Anlehnung an die Rechtsprechung des Senats für nicht sachgerecht (so auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 20.09.2016, 8 WF 62/15; Beschluss vom 13.04.2016, 8 WF 33/16; Meyer/Höver/Bach/Oberlack/Jahnke, a.a.O.). Es gibt auch keinen Erfahrungssatz dahingehend, dass die zur Beantwortung der Beweisfragen erforderliche Zeit mit der Seitenzahl des schriftlichen Gutachtens korrespondiert (OLG Koblenz, Beschluss vom 13.11.2012, 14 W 620/12; Binz in Binz/Dörndorfer/Petzold/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 3. Aufl. 2014). Dies gilt in...