Leitsatz (amtlich)
1. Im Verkehrsunfallprozess hat derjenige, der sich auf das vollständige Zurücktreten seiner eigenen mitwirkenden, nicht erhöhten Betriebsgefahr hinter dem Verantwortungsanteil des Unfallgegners mit der Folge dessen voller Haftung für die Unfallfolgen nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG beruft, die tatsächlichen Voraussetzungen zu beweisen, aus denen sich ein schwerwiegender Verkehrsverstoß des Unfallgegners ergibt, der dessen volle Einstandspflicht rechtfertigt.
2. Zu den Voraussetzungen der Zurückweisung einer Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO nach neuem Recht.
Normenkette
StVG §§ 17, 7; ZPO § 522 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Tübingen (Urteil vom 20.01.2012; Aktenzeichen 3 O 209/11) |
Tenor
1. Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des LG Tübingen vom 20.1.2012 - 3 O 209/11 - gem. § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
2. Die Beklagten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme und gegebenenfalls auch zur Zurücknahme der Berufung bis 29.3.2012.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 3.365,56 EUR
Gründe
A. Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch.
Am 19.3.2011 gegen 11 Uhr befuhr der Kläger mit seinem Pkw die Straße ... in R. in Richtung ... Auf Höhe der rechts dieser Straße gelegenen Tankstelle "..." bog er nach links in die Zufahrt des Parkplatzes zum Ladengeschäft "..." ein, wobei ihn jedoch ein ihm aus dieser Zufahrt entgegenkommendes Fahrzeug am Einfahren hinderte, weshalb er den Abbiegevorgang abbrechen musste. Dabei kam es zur Kollision seines sich in diesem Moment noch auf der Gegenfahrbahn befindenden Pkw und des bei der Beklagten Ziff. 2 haftpflichtversicherten Wohnmobils, mit dem der Beklagte Ziff. 1 die Straße ... in Gegenrichtung befuhr.
Der Kläger hat die Beklagten auf Ersatz seines vollen Schadens in Anspruch genommen, weil sein Fahrzeug für den Beklagten Ziff. 1 unschwer zu erkennen gewesen und es dennoch zur Kollision gekommen sei. Die Beklagten haben um Abweisung der Klage gebeten, weil es dem Beklagten Ziff. 1 trotz sofortigen Abbremsens nicht mehr möglich gewesen sei, sein Fahrzeug rechtzeitig zum Stehen zu bringen, weshalb er auf das in seine Fahrbahn hineinragende Heck des vom Kläger gelenkten Fahrzeugs aufgefahren sei.
Das LG hat die Beklagten nach §§ 7, 17 StVG entsprechend einer Haftungsquote von 20 % verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen.
Es hat - sachverständig beraten - festgestellt, dem Kläger sei bei Beginn des Abbiegevorgangs das herannahende Beklagtenfahrzeug jedenfalls erkennbar gewesen. Dem Kläger gereiche zum Verschulden, dass er in einem spitzen Winkel in den Parkplatz eingefahren sei und nicht in einem stumpfen Winkel, was dem Kläger ermöglicht hätte, trotz des ihm aus dem Parkplatz entgegenkommenden Fahrzeugs den Abbiegevorgang ungehindert zu beenden, wodurch die Kollision vermieden worden wäre.
Dagegen stehe ein Verkehrsverstoß des Beklagten Ziff. 1 nicht fest. Für eine Geschwindigkeitsüberschreitung fehlten ausreichende Anhaltspunkte. Dass der Beklagte Ziff. 1 zu spät gebremst habe, sei nicht festzustellen, weil nicht erwiesen sei, in welcher Entfernung vom Unfallort sich der Beklagte Ziff. 1 in dem Moment befand, als der Kläger den Abbiegevorgang begann bzw. als er diesen verlangsamte und abbrach.
Bei der Abwägung der Verantwortungsanteile überwiege derjenige des Klägers den der Beklagten deutlich, trete aber nicht ganz hinter diesen zurück, weil das Beklagtenfahrzeug aufgrund seiner Masse und seines Alters ein gewisses, für den Unfall mitursächliches Gefahrenpotential geborgen habe. Gerechtfertigt sei eine Mithaftung der Beklagten zu 20 %.
Hiergegen wenden sich die Beklagten mit der Berufung, mit der sie ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiterverfolgen.
B. Die Voraussetzungen für die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss (§ 522 Abs. 2 ZPO) sind erfüllt.
I. Das angefochtene Urteil beruht, jedenfalls soweit es mit der Berufung angefochten ist, weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die vom Senat zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung, § 513 ZPO. Der Senat ist - im Ergebnis mit dem LG - der Auffassung, dass sich die Beklagten die Betriebsgefahr des von dem Beklagten Ziff. 1 geführten Fahrzeugs anrechnen lassen müssen und daraus ihre Einstandspflicht nach §§ 7, 17 StVG jedenfalls zu der vom LG angenommenen Quote folgt.
1. Entgegen der Auffassung der Berufung ist die Haftung der Beklagten nicht nach § 17 Abs. 3 StVG ausgeschlossen.
a) Der Begriff "unabwendbares Ereignis" im Sinne dieser Vorschrift meint nicht die absolute Unvermeidbarkeit des Unfalls, sondern ein schadenstiftendes Ereignis, das auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Hierzu gehört ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hinaus (vgl. etwa OLG Koblenz, NZV 2006, 201, 202; Heß, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, ...