Leitsatz (amtlich)

1. Beruht eine Kollision zwischen einem nach links abbiegenden Pkw und einem überholenden Motorrad auf einem schwerwiegenden Verkehrsverstoß des überholenden Motorradfahrers gegen das Verbot, bei unklarer Verkehrslage zu überholen (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO), so kann bei der Abwägung nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG die von dem nach links abbiegenden Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr vollständig hinter dem Verur-sachungsanteil des Motorradfahrers mit der Folge dessen voller Einstandspflicht zurücktreten, liegt ein Verkehrsverstoß des nach links Abbiegenden, insbesondere gegen die sich aus § 9 Abs. 1 StVO ergebenden Pflichten, nicht vor oder ist ein solcher nicht nachweisbar.

2. Ein Anscheinsbeweis zu Lasten des nach links Abbiegenden für einen Verstoß gegen § 9 Abs. 1 StVO greift jedenfalls dann nicht ein, wenn der Abbiegende mit einem Fahrzeug kollidiert, das mehrere Fahrzeuge in einem Zug überholt.

 

Normenkette

StVO § 5 Abs. 3, § 9 Abs. 1; StVG § 17 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

LG Ravensburg (Urteil vom 17.12.2010; Aktenzeichen 2 O 314/09)

 

Tenor

1. Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des LG Ravensburg vom 17.12.2010 - 2 O 314/09 - gem. § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

2. Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme und gegebenenfalls auch zur Zurücknahme der Berufung bis 27.4.2011.

Streitwert der Berufungsinstanz: Bis 22.000 EUR.

 

Gründe

Mit seiner Berufung wendet sich der Kläger ohne Erfolg gegen das Urteil des LG, das seine Klage abgewiesen hat.

I. Der Kläger hat die Beklagten vor dem LG auf der Basis einer Haftungsquote von 100 % auf Schadensersatz, Schmerzensgeld und Feststellung wegen eines Verkehrsunfalls in Anspruch genommen. Er befuhr am 6.4.2009 gegen 16:20 Uhr mit seinem Kraftrad die B. von R. kommend. Bei D. schloss er auf eine mit einer Geschwindigkeit etwa 80 km/h fahrende Fahrzeugkolonne von vier oder fünf Pkws auf. Der Beklagte Ziff. 1 fuhr mit seinem Pkw, der bei der Beklagten Ziff. 2 haftpflichtversichert war, an der Spitze dieser Kolonne. Der Kläger überholte zunächst zwei oder drei Pkws der Kolonne und scherte dann nochmals nach rechts ein, wobei er sich auf der rechten Fahrspur näher zur Mittellinie hin aufhielt. Während des anschließenden Überholvorgangs des Klägers, mit dem er versuchte, die weiteren zwei oder drei Pkws einschließlich des Beklagtenfahrzeugs zu überholen, bog der Beklagte Ziff. 1 von der Bundesstraße nach links in einen geteerten landwirtschaftlichen Weg ein, der sich gegenüber der von rechts auf die B 312 einmündenden S.-Straße befindet. Es kam zur Kollision der beiden Fahrzeuge.

II. Die Berufung, mit der der Kläger lediglich noch die Verurteilung der Beklagten zum Schadensersatz auf der Basis einer Haftungsquote von 50 % begehrt, hat nach einhelliger Auffassung des Senats keine Aussicht auf Erfolg, § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die vom Senat zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung, § 513 ZPO. Das LG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

1. Zutreffend hat das LG ein Verschulden des Beklagten Ziff. 1 bei der Abwägung nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG nicht berücksichtigt.

a) Das LG hat das Verhalten des Beklagten Ziff. 1 zu Recht an § 9 Abs. 1 StVO gemessen und nicht etwa § 9 Abs. 5 StVO herangezogen, der bei einem Abbiegen in einen Feld- oder Waldweg, wie es hier vorlag, nicht einschlägig ist, auch wenn in einem solchen Fall, abhängig von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls, grundsätzlich ähnlich verschärfte Pflichten gelten (vgl. OLG Naumburg, NZV 2009, 227 [228]; Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 21. Aufl., § 9 StVO Rz. 53). Dass das LG Letzteres etwa verkannt habe, ist nicht ersichtlich und macht die Berufung nicht geltend.

b) Das LG ist zu der Überzeugung gelangt, der Beklagte Ziff. 1 habe im Zuge des Abbiegevorgangs rechtzeitig den Blinker gesetzt. Dass sich eine - etwaige - Verletzung der doppelten Rückschaupflicht aus § 9 Abs. 1 Satz 4 StVO auf das Unfallereignis ausgewirkt habe, stehe nicht fest; es sei vielmehr nach den Angaben des Sachverständigen ernsthaft möglich, dass zu keinem der beiden für die doppelte Rückschaupflicht entscheidenden Zeitpunkte der Überholvorgang für den Beklagten Ziff. 1 wahrnehmbar gewesen sei, selbst wenn er den ihn treffenden Pflichten in jeder Hinsicht nachgekommen wäre. Gegen diese Würdigung bringt die Berufung nichts vor. Anhaltspunkte für Zweifel i.S.v. § 529 Abs. 1 Satz 1 ZPO vermag der Senat insoweit nicht zu erkennen. Die vom LG vorgenommene Würdigung liegt insbesondere deshalb nahe, weil das Motorrad des Klägers mit dem von dem Beklagten Ziff. 1 gelenkten Fahrzeug im hinteren Bereich dessen linker Seite kollidierte, im Moment der Kollision der Abbiegevorgang also bereits weit fortgeschritten war.

c) Nicht zu beanstanden ist die aus diesen Feststellungen vom LG gezogene Folgeru...

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