Normenkette

GG Art. 100; ZPO § 148

 

Verfahrensgang

AG Stuttgart (Aktenzeichen 7 FH 1730/00)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des AG S. – FamG – vom 16.4.2002 (7 FH 1730/00) aufgehoben und das Verfahren an das AG S. zur Entscheidung in der Sache zurückverwiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin ist die minderjährige Tochter des Antragsgegners. Sie verlangt im vereinfachten Verfahren nach Art. 5 § 3 des Kindesunterhaltsgesetzes (KiUG) sowie § 2 des Unterhaltstitelanpassungsgesetzes (UTAG) Erhöhung ihres Unterhalts für die Zeit ab 1.1.2001. Bisher bezahlt der Antragsgegner einen monatlichen Kindesunterhalt von 239 DM; die Anpassung des Unterhaltstitels würde zu einer Zahlungsverpflichtung von monatlich 345 DM führen, also zu einer Erhöhung seiner Unterhaltsverpflichtung um 106 DM.

Nach Zustellung des Antrags auf Abänderung des Unterhaltstitels hat der Antragsgegner eine Gehaltsbescheinigung übersandt und geltend gemacht, dass er aufgrund seiner Einkünfte nicht in der Lage sei, den erhöhten Unterhalt zu bezahlen.

Das AG (Rechtspfleger) hat durch Beschluss vom 16.4.2002 das Verfahren in analoger Anwendung von § 148 ZPO ausgesetzt im Hinblick auf einen Vorlagebeschluss des 16. Zivilsenats des OLG Stuttgart vom 20.11.2001 nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG (OLG Stuttgart, Beschl. v. 20.11.2001 – 16 WF 492/01, FamRZ 2002, 172). Der 16. Zivilsenat hält darin § 2 des UTAG wegen Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 GG) für verfassungswidrig, soweit diese Vorschrift zulässt, dass in einem vereinfachten Verfahren – ohne obligatorische Prüfung der Leistungsfähigkeit des Schuldners – Unterhaltstitel, die bisher auf nicht mehr als 100 % des Regelbetrages abzgl. des hälftigen Kindergeldes lauteten, auf 135 % des Regelbetrages angehoben werden.

Das AG hält eine Aussetzung des Verfahrens angesichts dieses Vorlagebeschlusses auch mit Blick auf die Interessenlage des Kindes für vertretbar, weil die Antragstellerin bereits über einen vorläufig vollstreckbaren Titel verfügt und weil es davon ausgeht, dass das BVerfG über die Vorlage des 16. Zivilsenats in den nächsten Wochen bzw. Monaten, also alsbald, entscheiden werde.

Die Antragstellerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Aussetzung. Sie beruft sich darauf, dass nicht alle Familiensenate des OLG die Auffassung des 16. Senats teilten und dass insb. der für Beschwerden gegen Entscheidungen des AG S. zuständige Senat bisher keine Zweifel an der Verfassungsgemäßheit der fraglichen Vorschrift dokumentiert hat, und verlangt deshalb einen Fortgang des Verfahrens.

Der Rechtspfleger hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt (§ 572 Abs. 1 ZPO). Der zuständige Einzelrichter hat das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung auf den Senat übertragen (§ 568 Abs. 1 S. 2 ZPO).

II. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist gem. § 252 ZPO statthaft; sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 569 ZPO).

Die Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Die Aussetzung des Verfahrens ist ermessensfehlerhaft.

1. Die Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO ist neben einer Verfahrensaussetzung nach Art. 100 GG grundsätzlich zulässig.

a) Nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG hat ein Gericht ein Verfahren auszusetzen, wenn es ein nachkonstitutionelles Gesetz für verfassungswidrig hält, auf dessen Gültigkeit es bei seiner Entscheidung ankommt. Es muss dann gleichzeitig die Entscheidung des BVerfG einholen (BVerfG NJW 1973, 1319). Eine Aussetzung des Verfahrens ohne gleichzeitige Vorlage an das BVerfG ist nach Art. 100 GG nicht möglich. Das Verfahren nach Art. 100 GG unterliegt i.Ü. dem Richtervorbehalt (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 RPflG).

b) Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung kommt daneben eine Aussetzung des Verfahrens in analoger Anwendung von § 148 ZPO in Betracht, und zwar dann, wenn die Verfassungsmäßigkeit eines entscheidungserheblichen Gesetzes bereits Gegenstand einer anhängigen Verfassungsbeschwerde ist (BGH v. 25.3.1998 – VIII ZR 337/97, MDR 1998, 732 = NJW 1998, 1957).

So liegt der Fall hier zwar nicht. Denn die Frage der Verfassungsgemäßheit von Art. 5 KiUG und § 2 UTAG liegt dem Verfassungsgericht nicht im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde, sondern im Rahmen einer Richtervorlage nach Art. 100 GG zur Entscheidung vor. Die Interessenlage ist aber nicht anders als in dem vom BGH entschiedenen Fall. Danach dient eine Aussetzung des Verfahrens in analoger Anwendung von § 148 ZPO der Prozessökonomie. Es kann – auch zur Schonung der Parteien vor unnötiger Kostenbelastung – zweckmäßig sein, Verfahren nach § 148 ZPO mit Blick auf die Befassung des Verfassungsgerichts mit einer entscheidungserheblichen Norm auszusetzen. Das gilt jedenfalls dann, wenn das Gericht der ersten Instanz davon auszugehen hat, dass eine Entscheidung in der Sache in die Rechtsmittelinstanz gelangt und dass das Verfahren spätestens dort – wie vorausgehende Verfahren gleichen Inhalts – wegen for...

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