Leitsatz (amtlich)
Für das erzeugte, aber noch nicht geborene Kind kann vor der Geburt die Ausschlagung der Erbschaft erklärt werden.
Normenkette
BGB § 1923 Abs. 2, § 1946
Verfahrensgang
LG Ravensburg (Beschluss vom 27.08.1992; Aktenzeichen 3 T 263/92) |
Tenor
Auf die weitere Beschwerde der Antragstellerin werden die Beschlüsse des Landgerichts Ravensburg vom 27.8.1992 und des Notariats – Nachlaßgericht – Bad Wurzach vom 11.8.1992 aufgehoben; das Verfahren wird an das Notariat – Nachlaßgericht – Bad Wurzach
zurückverwiesen.
Gründe
Der Erblasser hinterließ als gesetzliche Erben seine Ehefrau und sieben Kinder. Fünf Kinder haben für sich und ihre Kinder die Erbschaft ausgeschlagen, davon eines der Kinder für die geborenen und für ein bereits erwartetes, aber noch nicht geborenes Kind.
Die Ehefrau hat beim Nachlaßgericht einen Erbschein für sich und die beiden nicht ausschlagenden Kinder beantragt. Das Nachlaßgericht hat den Antrag zurückgewiesen, da die Ausschlagung für das erzeugte, aber noch nicht geborene Kind nicht wirksam sei. Das Landgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde ebenfalls zurückgewiesen.
Die weitere Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß des Landgerichts ist zulässig und begründet. Die Ausschlagung der Erbschaft für das noch nicht geborene Kind war wirksam. Das entspricht der in der Literatur ganz überwiegend vertretenen Meinung (Palandt-Edenhofer Anm. 2 zu § 1946; Münch Komm-Leipold § 1923 Rn 19; Soergel-Stein § 1946 Rz 2; Peter Rpfl. 88, 107; Linde BWNotZ 88, 54), der sich der Senat anschließt. Daß der nasciturus überhaupt Erbe werden kann, beruht auf § 1923 II BGB. Der Wortlaut dieser Bestimmung gibt keinen Anlaß, die damit begründete Fähigkeit, Erbe werden zu können, dahingehend zu beschränken, daß die Fähigkeit zur Ausschlagung des Erbrechts nicht bestehen soll. Aus dem Begriff der Rechtsfähigkeit läßt sich eine solche Beschränkung ebenfalls nicht ableiten, da die Fiktion des § 1923 II BGB die allgemeine Vorschrift über die Rechtsfähigkeit in § 1 BGB erweitert. Daß es der Sinn der Regelung des § 1923 II BGB sein müsse, dem nasciturus das Ausschlagungsrecht zu versagen, während es für das eben geborene Kind bestehe, ist für den Senat nicht erkennbar. Das Recht der Ausschlagung allein bewirkt noch keine Schmälerung der Rechtsstellung des nasciturus. Ob die Ausübung dieses Rechts, also die Erklärung der Ausschlagung, für den nasciturus von Vorteil oder von Nachteil ist, ist eine Frage, die von den vertretungsberechtigten Personen im konkreten Fall zu beurteilen ist. Etwa bei einem überschuldeten Nachlaß kann die Möglichkeit sofortiger Ausschlagung von vornherein dem Interesse des nasciturus dienen (dazu näher Peter a.a.O.). Daher besteht auch kein Bedenken gegen das Vertretungsrecht der Eltern gemäß § 1912 II BGB. Dem allgemeinen Interesse an der Möglichkeit baldiger Klärung der Erbrechte ist daher Rechnung zu tragen. Die Möglichkeit einer Ausschlagung nach Eintritt des Erbfalls, aber vor dem Erbanfall an den Ausschlagenden (von der Rückwirkung der Fiktion des § 1923 II BGB abgesehen) ist dem Erbrecht auch nicht systemfremd, wie sich aus § 2142 BGB ergibt. Der in der Rechtsprechung bisher vertretenen Auffassung (Amtsgericht Recklinghausen Rpfl. 88, 106; AG Schöneberg und LG Berlin Rpfl. 90, 1362; beiläufig auch KG OLGZ 14, 318) ist daher nicht zu folgen. Da die Auffassung des Kammergerichts nicht tragende Grundlage seiner Entscheidung war, bedarf es keiner Vorlage an den BGH gemäß § 28 FGG (BGH NJW 89, 668, 669).
Die Beschlüsse des Landgerichts und des Nachlaßgerichts waren daher aufzuheben. Das Nachlaßgericht wird unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats erneut über den Erbscheinsantrag zu entscheiden haben.
Zu einer Kostenentscheidung bestand kein Anlaß.
Unterschriften
Schnaithmann, Dr. Fauser, Dr. Loos
Fundstellen
Haufe-Index 943878 |
NJW 1993, 2250 |
DNotZ 1993, 458 |
OLGZ 1993, 140 |