Leitsatz (amtlich)

In Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit tritt die Befasstheit mit Eingang eines Sachantrags, welcher nicht ausdrücklich von der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe abhängig gemacht wurde, beim Familiengericht ein. Ab diesem Zeitpunkt ist im Falle der Beteiligung weiterer Beteiligter im Sinne des § 7 Abs. 2 FamFG diesen Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen, soweit die weiteren Voraussetzungen vorliegen (Erfolgsaussicht, persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse). Das Familiengericht kann die Beteiligung nicht durch eigene Erklärung auf ein beabsichtigtes VKH-Prüfungsverfahren beschränken (entgegen OLG Dresden FamRZ 2011, 1242).

 

Normenkette

FamFG § 76; ZPO §§ 114, 119

 

Verfahrensgang

AG Ulm (Beschluss vom 09.10.2015; Aktenzeichen 4 F 1138/15)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Ulm vom 09.10.2015 - 4 F 1138/15 - abgeändert.

2. Dem Antragsgegner wird ratenfreie Verfahrenskostenhilfe für den ersten Rechtszug unter Beiordnung von Rechtsanwältin mit Wirkung zum 11.09.2015 bewilligt.

3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin beantragte durch Anwaltsschriftsatz vom 03.08.2015, beim Familiengericht eingegangen am 05.08.2015, die Übertragung eines Teilbereichs der elterlichen Sorge für das Kind, geboren am. Im Antragsschriftsatz beantragt sie gleichzeitig Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe. Durch Verfügung vom 20.08.2015 veranlasste das Familiengericht die Übersendung des Gesuchs um Verfahrenskostenhilfe zusammen mit der Antragsschrift. Zum Gesuch um Verfahrenskostenhilfe wurde eine Stellungnahmefrist von zwei Wochen eingeräumt. Mit Anwaltsschriftsatz vom 28.08.2015, beim Familiengericht eingegangen am 31.08.2015, beantragte der Antragsgegner Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe und nahm zum Gesuch um Verfahrenskostenhilfe und zur Antragsschrift Stellung. Mit Anwaltsschriftsatz vom 10.09.2015, eingegangen beim Familiengericht am 11.09.2015, reichte der Antragsgegner eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Anlagen nach. Durch Beschluss vom 21.09.2015 lehnte das Familiengericht den Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht ab. Durch Beschluss vom 09.10.2015 lehnte das Familiengericht auch den VKH-Antrag des Antragsgegners mit der Begründung ab, es habe den Antrag der Antragstellerin lediglich im VKH-Prüfungsverfahren geführt und den Antragsgegner auch lediglich im Rahmen dieser vorgelagerten Prüfung am Verfahren beteiligt.

Mit der sofortigen Beschwerde verfolgt der Antragsgegner seinen Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für die erste Instanz weiter. Die Antragstellerin ist der Beschwerde entgegengetreten.

II. Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Dem Antragsgegner ist in dem noch nicht abgeschlossenen erstinstanzlichen Sorgerechtsverfahren Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen, da die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen.

Die Voraussetzungen der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe in der vorliegenden FG- Familiensache richten sich gemäß § 76 Abs. 1 FamFG nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe, somit nach §§ 114 ff. ZPO.

Gemäß § 119 Abs. 1 S. 1 ZPO erfolgt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für jeden Rechtszug, der durch die Rechtshängigkeit einer Streitsache beginnt. Gemäß § 261 ZPO wird die Rechtshängigkeit durch die Erhebung der Klage begründet, wobei zivilprozessual die Erhebung einer Klage gemäß § 253 Abs. 1 ZPO durch Zustellung eines Schriftsatzes erfolgt. Vor Zustellung einer Klage bzw. eines Antrags in einer familienrechtlichen Streitsache (§ 113 FamFG) hat in solchen Verfahren der jeweilige Rechtszug noch nicht begonnen, weshalb insoweit auch keine Grundlage für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für einen Beklagten bzw. Antragsgegner vorhanden ist. Ein Prozessrechtsverhältnis zwischen ihm und dem Hilfe beanspruchenden Gegner wird dadurch nicht begründet (vgl. etwa BGH FamRZ 2004, 1708; Zöller/Geimer, 31. Aufl. 2016, § 118 ZPO Rdn. 2 m.w.N.).

In Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, also auch in einem Kindschaftsverfahren gemäß den §§ 151 ff. FamFG (wie hier), hat eine Zustellung hingegen keine für die Entstehung eines Verfahrensrechtsverhältnisses konstitutive Wirkung; Begriffe wie "Anhängigkeit" und "Rechtshängigkeit" mit dem für ZPO-Verfahren maßgeblichen Bedeutungsunterschied verwendet das FamFG daher in diesem Zusammenhang nicht. Der verfahrenseinleitende Antrag ist vielmehr mit seinem Eingang beim Gericht wirksam gestellt, ohne dass es hierfür einer Zustellung bedürfte. § 23 Abs. 2 FamFG bestimmt lediglich, dass der Antrag den übrigen Beteiligten übermittelt werden soll; hier ist weder von einer bestimmten Form der Übermittlung die Rede, noch hat diese den Sinn, ein Verfahrensstadium nach "Rechtshängigkeit" von der Zeit davor zu unterscheiden. Mit Eingang eines Antrages, der nicht ausdrücklich von...

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