Leitsatz (amtlich)

Die Anrechnung einer Leistung nach § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB ist mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Das Beschwerdegericht überprüft sie in vollem Umfang und nicht nur auf ihre Gesetzmäßigkeit (abweichend OLG Stuttgart - 1. Strafsenat - MDR 1980, 1037).

 

Normenkette

StPO § 453 Abs. 2; StGB § 56f Abs. 3 S. 2

 

Verfahrensgang

LG Tübingen (Entscheidung vom 30.11.2011; Aktenzeichen 11 StVK 245/11)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 05. Dezember 2011 wird der Beschluss des Landgerichts Tübingen -11. Strafvollstreckungskammer- vom 30. November 2011 hinsichtlich der Anrechnungsentscheidung dahin

a b g e ä n d e r t ,

dass die vom Verurteilten abgeleisteten 190 Stunden gemeinnützige Arbeiten mit zwei Monaten und einer Woche auf die zu verbüßende Freiheitsstrafe angerechnet werden.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers werden der Staatskasse auferlegt.

 

Gründe

1. Mit Beschluss des Landgerichts Tübingen vom 30. November 2011 wurde die dem Beschwerdeführer im Urteil des Amtsgerichts ... vom 28. April 2010 in Verbindung mit dem Urteil des Landgerichts Tübingen vom 19. November 2010 gewährte Aussetzung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten widerrufen, und die erbrachten 190 Stunden gemeinnütziger Arbeit wurden mit einem Monat auf die zu verbüßende Freiheitsstrafe angerechnet. Die hiergegen rechtzeitig erhobene sofortige Beschwerde richtet sich ausschließlich gegen die Anrechnungsentscheidung; der Anrechnungsmaßstab sei unangemessen.

2. Die zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache den aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Erfolg.

a) Dem Senat ist eine Entscheidung in der Sache nicht durch § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO verwehrt. Die Anrechnungsentscheidung kann nur mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden, sie ist eine unselbstständige Annexentscheidung zum Widerruf. Sie hängt in ihrer Entstehung vom Widerruf ab, wird im Falle der Aufhebung des Widerrufs gegenstandslos und nur aus ihr ergibt sich, wie viel Freiheitsstrafe noch zu vollstrecken ist (OLG Düsseldorf MDR 1985, 784 und NStZ 2001, 278 [LS]; OLG Hamburg MDR 1983, 953; OLG München, Beschluss vom 13. April 1984 - 1 Ws 314/83, zitiert nach juris; Thüringer OLG, Beschluss vom 13. Januar 2011 - 1 Ws 515/10, zitiert nach juris = NStZ-RR 2011, 324 [LS]; LG Stuttgart MDR 1981, 335; Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage, § 453 Rn. 13). Nur so ist gewährleistet, dass die Dauer der noch zu vollstreckenden Strafe bereits vor Vollstreckungsbeginn feststeht (Appl in KK, StPO, 6. Auflage, § 453 Rn. 17; Stöckel in KMR, StPO, Stand 2000, § 453 Rn. 40). Dem steht nicht entgegen, dass die Anfechtung der Anrechnungsentscheidung in § 453 Abs. 2 Satz 3 StPO unerwähnt bleibt. Alle Entscheidungen, die Aussagen über das "Ob" oder die "Höhe" der (noch) zu vollstreckenden Strafe enthalten, sind der formellen Rechtskraft zugänglich und über das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde der vollen Überprüfbarkeit des Beschwerdegerichts unterstellt (Thüringer OLG aaO.; LG Stuttgart, aaO.; Meyer-Goßner aaO.; a. A. - es gelte dennoch § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO - Appl aaO. und Stöckel aaO.).

Die entgegenstehende Ansicht (OLG Stuttgart - 1. Strafsenat - MDR 1980, 1037; Paeffgen in SK-StPO, § 453 Rdn. 23; Wendisch in Löwe Rosenberg, StPO, § 453 Rdn. 23) hält die einfache Beschwerde mit dem nach § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO eingeschränkten Prüfungsumfang für das zulässige Rechtsmittel. Die Anrechnungsentscheidung nach § 56f Abs. 3 StPO stelle eine solche von nachgeordneter Bedeutung dar. Wie auch die Festsetzung von Auflagen oder Weisungen bei der Bewilligung der Strafaussetzung zur Bewährung falle diese Entscheidung unter die allgemeine Regelung, die besage, dass derartige Anordnungen nur auf ihre Gesetzmäßigkeit nachgeprüft werden könnten. Konsequenter Weise sei Anfechtung der Anrechnungsentscheidung im Katalog des § 453 Abs. 2 Satz 3 StPO nicht aufgeführt. Der Senat folgt dem aus den o.a. Gründen nicht.

b) Die Anrechnung der erbrachten gemeinnützigen Arbeit (§ 56 b Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StGB) beruht auf § 56 f Abs. 3 Satz 2 StGB. Der Umfang der Anrechnung erfolgt in Anlehnung an § 7 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung des Justizministeriums über die Abwendung der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen durch freie Arbeit vom 30. Juni 2009 (GBI. S. 338), wonach ein Tag Ersatzfreiheitsstrafe durch vier Stunden freie Arbeit abgewendet wird.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2938616

NStZ-RR 2012, 190

OLGSt 2012

StV 2012, 486

StraFo 2012, 160

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