Leitsatz (amtlich)
1. Die Verjährung einer Ordnungswidrigkeit prüft und berücksichtigt das mit der Sache befasste Gericht von Amts wegen.
2. Ist eine Ordnungswidrigkeit verjährt, bleibt kein Raum für die Prüfung, ob sich der Betroffene wegen Rechtsmissbrauchs auf die Unwirksamkeit einer Ersatzzustellung des gegen ihn ergangenen Bußgeldbescheides berufen darf, da die Verjährung im Bußgeldverfahren nicht der Dispositionsfreiheit des Betroffenen unterliegt (entgegen OLG Hamm, 27. Januar 2015, III-3 RBs 5/15, NStZ 2015, 525).
Verfahrensgang
AG Leutkirch (Aktenzeichen 1 OWi 16 Js 6175/16) |
Tenor
Das Verfahren wird
eingestellt.
Die Kosten des Verfahrens und die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Leutkirch hat gegen den Betroffenen im schriftlichen Verfahren nach § 72 OWiG mit Beschluss vom 6. Juni 2016 wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 240 Euro und ein einmonatiges Fahrverbot mit Schonfrist festgesetzt. Den Feststellungen zufolge hat er mit "seinem" Pkw mit Schweizer Zulassung am 9. August 2015 um 14:19 Uhr die Bundesautobahn 96 mit 152 km/h befahren, obwohl er hätte erkennen (und sich danach richten) können, dass dort die Geschwindigkeit auf 100 km/h beschränkt war.
Die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde ist nach § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 OWiG statthaft und zulässig, insbesondere rechtzeitig eingelegt und mit der Sachrüge begründet worden. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen. Der Einzelrichter hat die Sache nach § 80a Abs. 3 S. 1 OWiG dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Die Ordnungswidrigkeit ist verjährt. Dies führt zur Einstellung des Verfahrens wegen des Verfolgungs- und Prozesshindernisses der Verfolgungsverjährung gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 206a Abs. 1 StPO.
1. Auch das Amtsgericht geht davon aus, dass die Ordnungswidrigkeit verjährt ist.
Die (erste) Anhörung des Betroffenen wurde am 16. Oktober 2015 veranlasst, wodurch die Verjährung gemäß § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG erstmals unterbrochen wurde. Am 25. November 2015 wurde der Bußgeldbescheid erlassen; am 28. November 2015 wurde er ausweislich der Zustellungsurkunde in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder eine ähnliche Einrichtung eingeworfen, weil der Empfänger nicht angetroffen worden und daher die Übergabe an ihn, wie auch an eine andere empfangsberechtigte Person, nicht möglich war.
Zu diesem Zeitpunkt wohnte der Betroffene nicht mehr an dieser Adresse, sondern war in die Schweiz verzogen.
Nach § 33 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 OWiG wird die Verjährung unterbrochen durch den Erlass des Bußgeldbescheids, sofern er binnen zwei Wochen zugestellt wird, andernfalls durch die Zustellung.
Zustellungen in Bußgeldsachen erfolgen nach § 51 Abs. 1 OWiG, § 3 Abs. 2 LVwZG, daher gelten für die Ausführung der Zustellung §§ 177 bis 182 ZPO entsprechend. Die Ersatzzustellung durch Einlegen des Schriftstücks in den Briefkasten setzt nach §§ 178, 180 ZPO voraus, dass die Person, der dort zugestellt werden soll, dort tatsächlich wohnt. Da dies nicht der Fall war, hatte die Ersatzzustellung infolge Unwirksamkeit keine verjährungsunterbrechende Wirkung und aus demselben Grund wurde die Verjährungsfrist nach §§ 31 OWiG, 26 Abs. 3 StVG auch nicht auf sechs Monate verlängert (vgl. Janker/Hühnermann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht 24. Aufl., § 26 StVG, Rn. 4; OLG Celle, ZfSch 2016, 110 - [...]).
Die Verfolgungsverjährung der Ordnungswidrigkeit trat somit drei Monate nach der letzten (wirksamen) verjährungsunterbrechenden Handlung, also mit Ablauf des 15. Januar 2016 ein. Vor diesem Zeitpunkt war weder der Bußgeldbescheid dem Betroffenen tatsächlich zugegangen, weshalb der Zustellungsmangel auch nicht geheilt war, noch waren weitere verjährungsunterbrechende Handlungen erfolgt.
2. Das Amtsgericht vertritt die Ansicht, entgegen der Auffassung des Betroffenen sei Verjährung nicht eingetreten bzw. der Betroffene könne sich hierauf nicht berufen.
Das Amtsgericht schließt sich dabei der Rechtsansicht des OLG Hamm (Beschluss vom 27.01.2015, NStZ 2015, 525) an, wonach ein Betroffener sich wegen Rechtsmissbrauchs nicht auf die Unwirksamkeit einer Ersatzzustellung des gegen ihn ergangenen Bußgeldbescheides soll berufen können, wenn er bei der Verwaltungsbehörde einen Irrtum über seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt bewusst und zielgerichtet unter Verstoß gegen die Meldegesetze der Länder herbeigeführt habe.
Zur Begründung dieser Auffassung führt das OLG Hamm aus, in der Rechtsprechung sei anerkannt, dass es eine unzulässige Rechtsausübung darstelle, wenn der Zustelladressat eine fehlerhafte Ersatzzustellung geltend mache, obwohl er einen Irrtum über seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt bewusst und zielgerichtet herbeigeführt habe. Dem Empfänger werde im Lichte des das gesamte Recht beherrschenden Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 B...