Leitsatz (amtlich)
Der Rückführung eines von einem Elternteil nach Deutschland entführten minderjährigen Kindes in die Ukraine nach den Bestimmungen des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 (HKÜ) steht wegen der Kampfhandlungen in der Ukraine derzeit die Vorschrift des Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ entgegen. Eine schwerwiegende Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für ein Kind i.S.d. Art. 13 Abs. 1 lit. b) HKÜ besteht derzeit auf dem gesamten Staatsgebiet der Ukraine.
Normenkette
HKÜ Art. 13 Abs. 1 lit. b)
Verfahrensgang
AG Stuttgart (Beschluss vom 30.08.2022; Aktenzeichen 24 F 1167/22) |
Tenor
1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Stuttgart vom 30.08.2022 wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsteller.
3. Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
4. Der Antragsgegnerin wird ratenfreie Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwältin ..., bewilligt.
Gründe
I. Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren des Antragstellers auf Rückführung seiner Tochter K. Y., geb. ...2021, in die Ukraine nach den Bestimmungen des Haager Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung vom 25.10.1980 (HKÜ).
Der Antragsteller und die Antragsgegner sind getrennt lebende Eheleute und die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern des Kindes K.. Bis zum 02.03.2022 lebten die Beteiligten zusammen in einer Wohnung in O. in der Ukraine. Bei Fliegeralarm flüchteten sie sich mit K. ins Auto und verbrachten die Nacht in der Tiefgarage.
Am 02.03.2022 verließ die Antragsgegnerin mit K. die gemeinsame Wohnung und begab sich ohne das Einverständnis des Antragstellers nach Deutschland, um hier mit dem Kind auf längere Zeit zu bleiben.
Mit seinem am 27.07.2022 beim Amtsgericht Stuttgart eingegangenen Antrag begehrt der Antragsteller die Rückführung des Kindes K. in die Ukraine.
Er trägt vor, die Antragsgegnerin habe mit dem Verbringen von K. nach Deutschland ohne seine Zustimmung sein Mitsorgerecht verletzt, weshalb das Kind unverzüglich in die Ukraine zurückzuführen sei. Ein Fall des Art. 13 Abs. 1 b) HKÜ liege nicht vor. Er sei bereit, für die Kindesmutter und K. eine Wohnung anzumieten und ihr Geldzahlungen zukommen zu lassen.
Der Antragsteller hat beantragt:
1. die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Kind K. Y., geb. am ...2021, derzeitige Anschrift ..., innerhalb einer angemessenen Frist nach ... Ukraine ... zurückzubringen.
2. sofern die Antragsgegnerin der Verpflichtung zu 1. nicht nachkommt, die Herausgabe des Kindes K. Y., geb. am ...2021, an den Antragsteller zum Zwecke der sofortigen Rückführung nach ...Ukraine ... anzuordnen,
3. die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Aufwendungen, insbesondere für die Vertretung durch einen Rechtsanwalt, der Antragsgegnerin aufzuerlegen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt, den Antrag abzuweisen.
Sie trägt zur Begründung insbesondere vor, es sei zu gefährlich, das Kind in ein Kriegsgebiet zurückzuführen. Auch sei nicht absehbar, wie lange der Krieg in der Ukraine dauern wird. Da der Antragsteller unzuverlässig sei, könne man auf seine Zusagen in Bezug auf die Sicherung ihrer Lebenssituation und der des Kindes im Fall einer Rückkehr nicht vertrauen.
Das Amtsgericht hat Frau x. zum Verfahrensbeistand für K. bestellt. Auf ihre schriftlichen Ausführungen wird verwiesen.
Die Angelegenheit wurde am 26.08.2022 mit den Beteiligten in einem Termin erörtert. Der Antragsteller konnte zu dem Termin nicht persönlich erscheinen, da er infolge der Generalmobilmachung die Ukraine nicht verlassen darf. Er wurde über WebEx angehört. Ferner war auch sein ukrainischer Rechtsanwalt in der Sitzung anwesend. Auch eine Dolmetscherin war anwesend. Auf das Protokoll des Erörterungstermins wird verwiesen.
Die Amtsrichterin hat sich am 26.08.2022 einen persönlichen Eindruck von K. verschafft.
Das Amtsgericht hat sodann mit Beschluss vom 30.08.2022 entschieden:
1. Die Anträge werden zurückgewiesen.
2. Die Verfahrenskosten werden gegeneinander aufgehoben.
Das Amtsgericht hat zur Begründung insbesondere ausgeführt, dass eine Anordnung der Rückführung des Kindes nicht in Betracht komme, da vorliegend aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine die Härteklausel des Art. 13 Abs. 1 b) HKÜ eingreife. Auf den Beschluss vom 30.08.2022 wird verwiesen.
Gegen diesen seinen Verfahrensbevollmächtigten am 06.09.2022 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde vom 14.09.2022, die am selben Tag beim Amtsgericht eingegangen ist. Er beantragt,
1. die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Kind K. Y., geb. am ...2021, derzeitige Anschrift ..., innerhalb einer angemessenen Frist in die Ukraine zurückzubringen,
2. sofern die Antragsgegnerin der Verpflichtung zu 1. nicht nachkommt, die Herausgabe des Kindes K. Y., geb. am ...2021, an den Antrags...