Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausbildungsunterhalt. Erlaß einer einstweiligen Anordnung gemäß 644 ZPO
Verfahrensgang
AG Esslingen (Beschluss vom 22.07.1999; Aktenzeichen 1 F 433/99) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerinnen wird der Beschluß des Amtsgerichts – Familiengericht – Esslingen vom 22.07.1999
aufgehoben
und die Sache zur weiteren Entscheidung an das Gericht des ersten Rechtszugs
zurückverwiesen.
Wert der Beschwerde: |
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(408 + 1.000 + 725 = 2.133 × 6 =) |
12.798,00 DM |
Tatbestand
I.
Die drei volljährigen Antragstellerinnen, die sich in Schul- und Berufsausbildung befinden, begehren vom Antragsgegner, ihrem Vater, dessen Ehe mit der Mutter der Antragstellerinnen im Jahr 1991 geschieden wurde, Ausbildungsunterhalt. Die Antragstellerinnen haben mit Schriftsätzen vom 14. und 18.05.1999 deswegen beim Familiengericht Klage erhoben.
Der Antragsgegner, der von Beruf Elektromeister, Geschäftsführer und Gesellschafter (Anteil zu 90 %) der Fa. … ist, macht geltend, er sei selbst für den Fall, daß den Antragstellerinnen an sich Ausbildungsunterhalt zustehen sollte, nicht leistungsfähig.
Die Mutter der Antragstellerinnen ist erwerbstätig. Die Antragstellerinnen Ziff. 2 und 3 leben noch im Haushalt ihrer Mutter. Die Antragstellerin Ziff. 1 bezieht eine Ausbildungsvergütung. Die Antragstellerinnen gehen davon aus, daß auch ihre Mutter sich gemäß den Einkommens- und Vermögensverhältnissen am Unterhalt zu beteiligen hat und die Antragstellerin Ziff. 1 davon, daß sie einen Teil ihrer Ausbildungsvergütung bedarfsdeckend einsetzen muß.
Mit Schriftsätzen vom 10. und 11.06.1999 haben die Antragstellerinnen den Erlaß einstweiliger Anordnungen gegen den Antragsgegner begehrt zur Festsetzung folgender monatlicher Unterhaltsbeträge:
- für die Antragstellerin Ziff. 1 DM 533,00 abzüglich hälftiges Kindergeld,
- für die Antragstellerin Ziff. 2 DM 1.125,00 abzüglich hälftiges Kindergeld,
- für die Antragstellerin Ziff. 3 DM 875,00 abzüglich hälftiges Kindergeld.
Das Familiengericht hat nach mündlicher Verhandlung die Anträge auf Erlaß einstweiliger Anordnungen durch Beschluß vom 22.07.1999 zurückgewiesen und das damit begründet, die Antragstellerinnen hätten nach ihrem Vorbringen den Antragsgegner ergebnislos am 12.10.1998 zur Auskunftserteilung über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse aufgefordert. Unter diesen Umständen könne jetzt von einem sofortigen Regelungsbedürfnis, das eine einstweilige Anordnung voraussetze, nicht ausgegangen werden.
Gegen diesen Beschluß, der den Antragstellerinnen am 28.07.1999 zugestellt wurde, richtet sich ihre am 02.08.1999 eingelegte sofortige Beschwerde. Zur Zulässigkeit ihres Rechtsmittels machen sie im wesentlichen geltend: In analoger Anwendung zu § 620 c Satz 1 ZPO sei ihre sofortige Beschwerde deswegen zulässig, weil die familiengerichtliche Entscheidung auf einer greifbaren Gesetzeswidrigkeit beruhe. Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung stehe nicht im freien Ermessen des Gerichts, wenn ein Regelungsbedürfnis gegeben sei. Das Familiengericht habe offensichtlich Eilbedürftigkeit und Regelungsbedürftigkeit verwechselt. Letztere liege vor, wenn ein dringendes Bedürfnis für eine einstweilige Regelung bestehe, welches ein Abwarten bis zur endgültigen Entscheidung nicht gestatte. Das sei vorliegend der Fall, weil die Antragstellerinnen ohne Unterhaltszahlungen auch durch den Antragsgegner ihre Ausbildung nicht fortsetzen könnten. Der Antragsgegner sei von ihnen in einem Gespräch vom März 1998 und durch ein Aufforderungsschreiben vom 17.07.1998 zu Unterhaltszahlungen ergebnislos aufgefordert worden. Die Antragstellerinnen machen weitere Ausführungen zu ihrer Ausbildungssituation und zu ihrer Bedürftigkeit.
Entscheidungsgründe
II.
Das Rechtsmittel der Antragstellerinnen ist statthaft und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses sowie zur Zurückverweisung an das Familiengericht zur weiteren Sachentscheidung.
Eine nach §§ 644, 621 Abs. 1 Nr. 4 erlassene einstweilige Anordnung ist gemäß §§ 644, 620 c Satz 2 ZPO grundsätzlich unanfechtbar. Nach allgemeiner Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum ist aber in Ausnahmefällen ein Rechtsmittel auch gegen eine an sich unanfechtbare Entscheidung zuzulassen, wenn diese wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit grob fehlerhaft ist, der angefochtene Beschluß „auf einer Gesetzesauslegung beruht, die offensichtlich dem Wortlaut und dem Zweck des Gesetzes widerspricht und die eine Gesetzesanwendung zur Folge hat, die durch das Gesetz ersichtlich ausgeschlossen werden sollte” (BGH NJW 1993, 135, vgl. auch Zöller/Gummer, ZPO, 21. Aufl., § 567 Rn. 18, je m.w.N.). Vorliegend hat das Familiengericht die Vorschrift des § 644 ZPO greifbar gesetzeswidrig ausgelegt. Nach dieser Bestimmung „kann” das Gericht – wie gemäß § 620 ZPO – einstweilige Maßnahmen zum Gegenstand der Hauptsache treffen. „Kann” räumt dem Gericht kein freifes Handlungsermessen ein, sondern betrifft den unbestimmten Rechtsbegriff des Regelungsbedürfnisses (vgl. Giesler, Vorläufiger Rechtsschutz in ...