Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsanwaltsvergütung: Entstehung einer 1,2 Terminsgebühr in einem Verbundverfahren über Ehescheidung und Versorgungsausgleich, in dem eine mündliche Verhandlung nicht stattfindet
Leitsatz (amtlich)
1. Im Verbundverfahren "Ehescheidung und Versorgungsausgleich" ist gleichzeitig und zusammen zu verhandeln und durch Urteil zu entscheiden, so dass die Terminsgebühr aus dem Gesamtstreitwert gem. Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1 RVG-VV auch dann anfällt, wenn gem. § 128 Abs. 2 ZPO im Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden wird.
2. Wird das schriftliche Verfahren gem. § 128 Abs. 2 ZPO durch das Gericht "im vermuteten Einverständnis der Parteien" angeordnet, ist das hierauf erfolgte Schweigen als nachträgliche Zustimmung zu werten. Denn durch diese Vorgehensweise werden die Parteien gerade nicht zur Abgabe einer Einverständniserklärung innerhalb einer gesetzten Frist aufgefordert, sondern hiervon abgehalten. Aus der Sicht des Gerichts und der Parteien bedarf nur ein Widerspruch der ausdrücklichen Erklärung.
Normenkette
ZPO § 128 Abs. 1-2, § 621 Abs. 1 Nr. 6, § 623 Abs. 1 S. 1, § 629 Abs. 1; RVG-VV Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1
Verfahrensgang
AG Reutlingen (Beschluss vom 11.09.2008; Aktenzeichen 12 F 665/07) |
Tenor
I. Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss der Familienrichterin des AG Reutlingen - FamG - vom 11.9.2008 - 12 F 665/07, abgeändert:
Auf die Erinnerung des Beschwerdeführers wird der Vergütungsfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des AG Reutlingen vom 2.9.2008 - 12 F 665/07, dahin abgeändert, dass zusätzlich zu den festgesetzten 362,59 EUR weitere 312,74 EUR, damit insgesamt 675,33 EUR als Vergütung gegen die Staatskasse festgesetzt werden.
II. Die Verfahren über die Erinnerung und die Beschwerde sind gebührenfrei. Kosten werden in beiden Verfahren nicht erstattet.
Gründe
1. Im Verbundverfahren Ehescheidung/Versorgungsausgleich wurde der Antragstellerin mit Beschluss vom 23.8.2007 im Rahmen der Prozesskostenhilfebewilligung der Beschwerdeführer beigeordnet. Nach Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung und dessen Verlegung wurde dieser wegen Verhinderung des Beschwerdeführers aufgehoben und "im vermuteten Einverständnis der Parteien das schriftliche Verfahren angeordnet". In dem zugleich anberaumten Verkündungstermin wurde im schriftlichen Verfahren durch Urteil vom 6.3.2008 die Ehe der Parteien geschieden, festgestellt, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfindet, und die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufgehoben. Der Streitwert wurde mit Beschluss vom 10.6.2008 für die Scheidung auf 3.600 EUR und für den Versorgungsausgleich auf 1.000 EUR festgesetzt.
Den zunächst am 10.6.2008 eingereichten Antrag auf Festsetzung der Vergütung des beigeordneten Rechtsanwalts korrigierte der Beschwerdeführer im Hinblick auf die Streitwertfestsetzung mit Antrag vom 14.7.2008, dem durch den Festsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin vom 2.9.2008 entsprochen wurde mit Ausnahme der 1,2-Terminsgebühr von 262,80 EUR zzgl. Umsatzsteuer, insgesamt 312,74 EUR.
Die hiergegen gerichtete Erinnerung wurde durch die Familienrichterin am 11.9.2008 zurückgewiesen, weil eine mündliche Verhandlung nicht stattgefunden habe und sich die Parteien allenfalls konkludent mit einer - verfahrensrechtlich nicht vorgesehenen - Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt hätten.
Gegen den am 19.9.2008 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 21./23.9.2008 sofortige Beschwerde eingelegt, auf deren Begründung verwiesen wird.
Die Bezirksrevisorin war bereits im Festsetzungsverfahren beteiligt worden.
Die Familienrichterin hat die Akte ohne Abhilfe am 25.9.2008 dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.
2. Die sofortige Beschwerde ist gem. §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 Satz 1 und 3 RVG zulässig und in der Sache auch begründet.
Die 1,2-Terminsgebühr gem. Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 1 RVG entsteht, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden wird.
Die Familienrichterin hat ohne mündliche Verhandlung am 6.3.2008 einheitlich durch Urteil dem Scheidungsantrag stattgegeben und über die Folgesache "Versorgungsausgleich" entschieden (§ 629 Abs. 1 ZPO). Gemäß § 623 Abs. 1 Satz 1 ZPO war über den Verbund von Scheidung und Versorgungsausgleich (§ 621 Abs. 1 Nr. 6 ZPO) gleichzeitig und zusammen zu verhandeln und zu entscheiden, eine Abtrennung kam gem. § 628 Satz 1 Nr. 1 oder 2 ZPO nicht in Betracht. Damit war nicht nur über die Ehescheidung durch Urteil zu entscheiden, sondern auch über den Versorgungsausgleich, so dass die mündliche Verhandlung gem. § 128 Abs. 1 ZPO für die Verbundsache insgesamt zwingend vorgeschrieben war. Entsprechend wurde auch einheitlich über den Scheidungsantrag und den Versorgungsausgleich durch Urteil entschieden.
Richtig ist, dass die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung das Einverständnis de...