Leitsatz (amtlich)
1. Die Fraktion eines Landtags ist ein bürgerlich-rechtlicher nicht rechtsfähiger Verein, der im einstweiligen Verfügungsverfahren parteifähig ist und Beschwerde gegen gerichtliche Entscheidungen in diesem Verfahren einlegen kann. Auf ihn findet Art. 19 Abs. 3 GG Anwendung, so dass sich eine Fraktion auf den Schutz der Grundrechte berufen kann, soweit sie ihrem Wesen nach auf sie anwendbar sind.
2. Die Indemnität von Abgeordneten des baden-württembergischen Landtags nach Art. 37 Landesverfassung Baden-Württemberg (LV) ist auf das Abstimmungsverhalten und Äußerungen aller Art im Landtag beschränkt. Äußerungen von Abgeordneten auf einer Pressekonferenz einer Fraktion fallen deshalb nicht unter Art. 37 LV, soweit nicht lediglich parlamentarische Äußerungen aus einer öffentlichen Sitzung wiederholt werden. Nur Abgeordnete selbst, nicht aber die aus Abgeordneten bestehende Fraktion kann sich auf Indemnität berufen.
3. Die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte gebietet es, bei einem Unterlassungsanspruch wegen eines Eingriffs in das durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG geschützte Urheberrecht im Rahmen der Rechtswidrigkeit den Schutz der Grundrechte des Schädigers, insb. aus Art 5 GG (hier: Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 S. 1 1. HS GG) zu berücksichtigen und die Grundrechte der Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Eines Rückgriffs auf einen übergesetzlichen Notstands bedarf es hierfür nicht.
4. Bei einem Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage muss ein Urheberrecht regelmäßig ggü. der Meinungsfreiheit zurücktreten, solange die Intim-, Privat- oder Vertraulichkeitssphäre nicht betroffen ist. Ein Unterlassungsanspruch ergibt sich dann auch nicht aus §§ 1004, 823 BGB i.V.m. §§ 22, 23 KUG.
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Beschluss vom 12.06.2003; Aktenzeichen 17 O 162/03) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Verfügungskläger gegen den Beschluss des LG Stuttgart vom 14.4.2003 i.d.F. des Beschlusses vom 12.6.2003 – 17 O 162/03, wird zurückgewiesen.
2. Auf die Anschlussbeschwerde der Verfügungsbeklagten wird der Beschluss des LG Stuttgart vom 14.4.2003 i.d.F. des Beschlusses vom 12.6.2003 – 17 O 162/03 geändert.
Die außergerichtlichen Kosten der Verfügungsklägerin Ziff. 1 trägt diese selbst.
Von den außergerichtlichen Kosten des Verfügungsklägers Ziff. 2 tragen die Verfügungsbeklagten Ziff. 1 u. Ziff. 2 jeweils 1/8, die restlichen Kosten trägt der Verfügungskläger Ziff. 2 selbst.
Von den außergerichtlichen Kosten der Verfügungsbeklagten Ziff. 1 trägt die Verfügungsklägerin Ziff. 1 1/2, der Verfügungskläger Ziff. 2 3/8, die übrigen Kosten trägt die Verfügungsbeklagte Ziff. 1 selbst.
Von den außergerichtlichen Kosten der Verfügungsbeklagten Ziff. 2 trägt die Verfügungsklägerin Ziff. 1 1/2, der Verfügungskläger Ziff. 2 3/8, die übrigen Kosten trägt die Verfügungsbeklagte Ziff. 2 selbst.
Von den Gerichtskosten trägt die Verfügungsklägerin Ziff. 1 1/2, der Verfügungskläger Ziff. 2 3/8 und die beiden Verfügungsbeklagten Ziff. 1 u. Ziff. 2 jeweils 1/16.
3. Die weiter gehende Anschlussbeschwerde der Verfügungsbeklagten wird zurückgewiesen.
4. Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Verfügungsklägerin Ziff. 1 1/2, der Verfügungskläger Ziff. 2 3/8 und die Verfügungsbeklagten Ziff. 1 u. Ziff. 2 jeweils 1/16.
Beschwerdewert: 30.000 Euro
Gründe
I. Im einstweiligen Verfügungsverfahren wollten die Verfügungskläger erreichen, dass die Verfügungsbeklagten die künftige Vorführung eines Videofilms unterlassen, der insb. den Verfügungskläger Ziff. 2 bei der Herstellung von Sex-Aufnahmen zeigt.
Der Verfügungskläger Ziff. 2 betreibt die Verfügungsklägerin Ziff. 1 sowie die R. KG, die das technische Anlagevermögen des insolventen Regionalsenders B. TV erworben hat. Der Verfügungskläger Ziff. 2 bemühte sich bei der Landesanstalt für Kommunikation um eine Sendelizenz. Die Verfügungsbeklagte Ziff. 1, eine Fraktion des Landtags in Baden-Württemberg, hatte vor diesem Hintergrund mit Antrag an den Landtag auf Ersuchen einer Auskunft der Landesregierung vom 28.2.2003 unter Ziff. 5 die Frage nach einer Verschärfung der medienrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen im Landtag aufgeworfen. Auf der Tagesordnung des Plenums des Landtags von Baden-Württemberg vom 27.3.2003 war u.a. dieser Antrag der Fraktion und die Stellungnahme des Staatsministeriums zur Begründung und Aussprache vorgesehen. Am 14.3.2003 führte die Verfügungsbeklagte Ziff. 1 und deren medienpolitische Sprecherin, die Verfügungsbeklagte Ziff. 2, die dem Landtag von Baden-Württemberg als Abgeordnete angehört, einem Kreis ausgewählter Pressevertreter das Videoband vor.
In der mündlichen Verhandlung vom 25.3.2003 haben die Verfügungsbeklagten dem LG das Videoband unter Verzicht auf die Rückgabe übergeben und eine strafbewehrte Unterwerfungserklärung abgegeben, woraufhin der Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist.
Mit Beschluss vom 14.4.2003 hat das LG gem. § 91a ZPO über die Kosten des Verfahrens entschieden. Hierge...