Entscheidungsstichwort (Thema)
Räumung
Leitsatz (amtlich)
Der Betriebsbedarf eines Unternehmers berechtigt nicht zur Kündigung einer an einen Betriebsfremden vermieteten Wohnung – keine Werkswohnung –, wenn der Vermieter diese Wohnung
a) neu anzuwerbenden Fachkräften zur Verfügung stellen und mit dem Wohnungsangebot seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern will
oder
b) einem Arbeitnehmer mit konkretem Wohnbedarf zur Verfügung stellen will.
Verfahrensgang
AG Heilbronn (Aktenzeichen 8 C 4677/89) |
LG Heilbronn (Aktenzeichen 1 a S 89/90 Ba) |
Tatbestand
I.
Die Klägerin, ein Bauunternehmen, ist Vermieterin eines aus acht Wohnungen und Keller räumen bestehenden Gebäudes, das in unmittelbarer Nähe ihres Lagerplatzes liegt. Die Hälfte einer Erdgeschoßwohnung wird als Büro für den Disponenten benützt, im Keller sind teilweise Sozialräume eingebaut, die von außen zugänglich sind. Die Klägerin hatte das Haus 1961 als Wohnheim für ausländische Arbeiter gebaut, ein Hilfsbelegungsrecht des Arbeitsamtes war nach Rückzahlung der gewährten öffentlichen Mittel entfallen. Da die Klägerin im Jahre 1984 mehrere Wohnungen nicht mehr mit eigenen Arbeitnehmern belegen konnte, vermietete sie diese Wohnungen an Dritte, darunter auch eine Wohnung an den Beklagten. Ende 1989 waren von den acht Wohnungen fünf Wohnungen an betriebsfremde Mieter vermietet. Der Mietvertrag der Klägerin mit dem Beklagten enthält keinen Hinweis auf die Zweckbestimmung als Werkswohnung und ist auf unbestimmte Zeit geschlossen.
Mit Kündigungsschreiben vom 14.09.1989 hat die Klägerin den Mietvertrag mit dem Beklagten zum 31.12.1989 gekündigt mit der Begründung, sie benötige diese Wohnung, um auf dem Arbeitsmarkt mit dem Angebot einer Wohnung leichter Fachkräfte für ihren Betrieb zu finden, insbesondere auch Aussiedler und Übersiedler. Nachdem der Beklagte der Kündigung widersprochen hatte, hat die Klägerin mit der Klage geltend gemacht, sie benötige die Wohnung dringend für ihren Arbeitnehmer D., der nach Zwangsräumung seiner Wohnung mit seiner Familie nun in einem Asylantenheim untergebracht worden sei.
Das Amtsgericht hat die Klage durch Urteil vom 11.01.1990 abgewiesen. Die Klägerin hat form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Sie verfolgt ihr Klagebegehren weiter und hält ihr erstinstanzliches Vorbringen unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Landgerichts Tübingen (ZMR 1987, 20) aufrecht.
Das Landgericht hält die vorgelegten Rechtsfragen für maßgebend bei der Entscheidung des Rechtsstreits. Die Frage a) sei angesichts der Situation auf dem Arbeitsmarkt und der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt von grundsätzlicher Bedeutung. Sofern die Frage a) negativ beantwortet werde, sei die Beantwortung der Frage b) prozeßentscheidend, weil der unstreitige Wohnbedarf des Arbeitnehmers D. erst nach der Kündigung des Beklagten entstanden und der Klägerin bekannt geworden sei. Das Landgericht hat dem Senat daher folgende Fragen zum Rechtsentscheid vorgelegt:
Rechtfertigt der „Betriebsbedarf” eines Bauunternehmens ein berechtigtes Interesse an einer Kündigung im Sinne von § 564 b Abs. 1 BGB (auch wenn es sich nicht um eine Werkswohnung im Sinne von §§ 565 b ff. BGB handelt), wenn das Unternehmen die Wohnung
- neu anzuwerbenden Fachkräften zur Verfügung stellen und mit dem Wohnungsangebot seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt verbessern will,
- einem Arbeitnehmer zur Verfügung stellen will, der nach Zwangsräumung seiner eigenen Wohnung einen konkreten Wohnbedarf hat.
Die Parteien haben Gelegenheit erhalten, zu den Vorlagefragen Stellung zu nehmen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Vorlage ist zulässig (§ 541 ZPO, früher Art. III des 3. Gesetzes zur Änderung mietrechtl. Vorschriften).
Die vom Landgericht, welches mit dem zugrundeliegenden Rechtsstreit als Berufungsgericht befaßt ist, gestellten Vorlagefragen haben Rechtsfragen zum Gegenstand, die sich aus einem Mietvertragsverhältnis über Wohnraum ergeben und von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne der genannten Vorschrift sind. Sie sind für den Rechtsstreit auch entscheidend und – soweit ersichtlich – bisher durch Rechtsentscheid nicht entschieden.
III.
Der Senat beantwortet die vorgelegten Rechtsfragen im Sinne des Entscheidungssatzes.
Nach allgemeiner Ansicht sind die in § 564 b Abs. 2 BGB ausdrücklich aufgeführten Kündigungsgründe nur beispielhaft zu verstehen, so daß auch andere Gründe zur Kündigung berechtigen können, die jedoch von ähnlichem Gewicht wie die in dieser Vorschrift benannten sein müssen (vgl. Barthelmess, 2. Wohnraumkündigungsschutzgesetz, Miethöhegesetz, 4. Aufl. 1990, Rn 102 zu § 564 b BGB; Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete 1989, IV Rn 60; Emmerich/Sonnenschein, Miete, 5. Aufl. 1989, Rn 66 zu § 564 b BGB; Köhler, Handbuch der Wohnraummiete, 3. Aufl. 1988, § 113 Rn 7; Schmidt-Futterer/Blank, Wohnraumschutzgesetze, 6. Aufl. 1988, Rn B 665; Sternel, Mietrecht, 3. Aufl. 1988, IV Rn 115). Überwiegend wird anerkannt, daß deshalb auch der Betriebsbedarf des Vermieters einer Werkswohnung nach Beendigung des...