Leitsatz (amtlich)

›Einem Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr, das nach Auslösung eines Alarms mit seinem privaten Pkw zum Feuerwehrhaus fährt, stehen grundsätzlich die Sonderrechte des § 35 Abs. 1 StVO zu. Diese dürfen aber mangels ausreichender Anzeigemöglichkeit ihres Gebrauchs nur im Ausnahmefall nach einer auf den Einzelfall bezogenen Abwägung nach Notstandsgesichtspunkten unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden, wenn dies zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist. Mit einem privaten Pkw, der keine Signaleinrichtungen wie ein Feuerwehrfahrzeug aufweist, sind daher allenfalls mäßige Geschwindigkeitsüberschreitungen ohne Gefährdung oder gar Schädigung anderer Verkehrsteilnehmer statthaft.‹

 

Verfahrensgang

AG Reutlingen (Aktenzeichen 9 OWi 33 Js 17746/01)

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen vom Vorwurf der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit freigesprochen.

Es hat festgestellt, dass der Betroffene am 09. April 2001 um 20.33 Uhr in auf der Straße als Führer des Pkw der Marke mit dem amtlichen Kennzeichen, auf dessen Fahrzeugdach er vorübergehend einen Kunststoffaufsatz mit der Aufschrift "Feuerwehr im Einsatz" angebracht habe, die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h überschritten habe. Seine gemessene Geschwindigkeit habe abzüglich der Toleranz 78 km/h betragen.

Der Betroffene sei aktives Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr der Stadt welche nur wenige Kilometer entfernt und städtebaulich unmittelbar angrenzend an die Nachbarstadt liege. Um 20.28 Uhr sei er über Funk im Rahmen eines Vollalarms wegen einer Brandmeldung im Gebäude der Firma in einem Verbrauchergroßmarkt, alarmiert worden. Er habe, wie ihm geheißen, auf dem schnellsten Wege das Feuerwehrhaus der Freiwilligen Feuerwehr in erreichen wollen, um von dort aus eingesetzt zu werden. Um 20.39 Uhr habe sich herausgestellt, dass es sich um einen Fehlalarm gehandelt habe. Andere Verkehrsteilnehmer seien durch die Fahrweise des Betroffenen auf der ausgebauten Ausfall- bzw. Durchgangsstraße, die der überörtlichen Verbindung zwischen den Ortsteilen und diene und welche zudem die Bundesstraßen und miteinander verknüpfe, in keiner Weise tangiert worden.

Dem Betroffenen sei auf Schulungen der Feuerwehr wiederholt - u.a. auch anhand von schriftlichen Unterlagen des Verkehrsdienstes der Polizeidirektion - erklärt worden, er könne im Alarmfalle gegebenenfalls für sich Sonderrechte in Anspruch nehmen, wenn er niemanden hierdurch gefährde.

Gegen dieses freisprechende Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, der sich die Generalstaatsanwaltschaft angeschlossen hat. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrem Rechtsmittel, das sich nicht gegen die getroffenen Feststellungen wendet, sondern lediglich eine Aufhebung und Zurückverweisung im Rechtsfolgenausspruch begehrt, eine grundsätzliche Klärung der Rechtsfrage, ob einem Angehörigen der Freiwilligen Feuerwehr im Alarmfall bei der Fahrt in seinem Privatfahrzeug zum Feuerwehrstützpunkt die Sonderrechte des § 35 Abs. 1 StVO zustehen. Hierin ist die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts zu sehen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet, da das Amtsgericht den Betroffenen im Ergebnis zu Recht freigesprochen hat.

1. Dem Betroffenen, der als Angehöriger einer Freiwilligen Feuerwehr nach Auslösung eines Alarms mit seinem privaten Pkw zum Feuerwehrhaus fährt, stehen grundsätzlich die Sonderrechte des § 35 Abs. 1 StVO zu. Diese dürfen aber mangels ausreichender Anzeigemöglichkeit ihres Gebrauchs nur im Ausnahmefall nach einer auf den Einzelfall bezogenen Abwägung nach Notstandsgesichtspunkten (vgl. Härtung NJW 1956, 1625) unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden, wenn dies zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist (§ 35 Abs. 1, 8 StVO). Mit einem privaten Pkw, der keine Signaleinrichtungen wie ein Feuerwehrfahrzeug aufweist, sind daher, soweit es um die Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit (§ 3 StVO) geht, allenfalls mäßige Geschwindigkeitsüberschreitungen ohne Gefährdung oder gar Schädigung anderer Verkehrsteilnehmer statthaft, was vorliegend noch der Fall ist.

a) Der Wortlaut des § 35 Abs. 1 StVO bezeichnet mit dem Tatbestandsmerkmal "die Feuerwehr" lediglich die Institution und besagt nichts darüber, welche Fahrzeugarten dieser Einrichtung hierunter fallen; er schließt private Fahrzeuge aus dem Anwendungsbereich jedenfalls nicht aus.

Aus dem Standort der Norm am Ende des ersten Abschnitts der StVO ("Allgemeine Verkehrsregeln") und angesichts dessen, dass diese Sonderregelung von den Vorschriften der StVO vollständig befreit, kann geschlossen werden, dass es sich um eine eng auszulegende Sondervorschrift handelt, wovon auch die Staatsanwaltschaft zu Recht ausgeht. Dies besagt allerdings noch nichts darüber, ob diese enge Auslegung bei dem Begriff "Feuerwehr" anzusetzen hat oder ob erhöhte Anforderungen an das Merkmal "dringend gebote...

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