Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Therapieunterbringung: Verfassungsrechtliche Kriterien für ein dringendes Bedürfnis zum sofortigen Tätigwerden
Leitsatz (amtlich)
Zum Vorliegen eines dringenden Bedürfnisses für ein sofortiges Tätigwerden nach der Entscheidung des BVerfG vom 4.5.2011 (2 BvR 2365/09 u.a.).
Verfahrensgang
LG Heilbronn (Beschluss vom 29.03.2011) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Heilbronn vom 29.3.2011 aufgehoben.
2. Der Antrag des Beteiligten Ziff. 2, den Betroffenen im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig unterzubringen, wird zurückgewiesen.
3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Gründe
I.1. Mit Schreiben vom 31.1.2011 hat der Leiter der Justizvollzugsanstalt ... die Anordnung einer Therapieunterbringung des Betroffenen nach § 1 ThUG in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung sowie die Anordnung der vorläufigen Unterbringung des Betroffenen im Wege einer einstweiligen Anordnung nach §§ 14, 15 ThUG beantragt. Der Betroffene befindet sich derzeit in Sicherungsverwahrung in der Justizvollzugsanstalt Heilbronn.
2. Nach mehreren Verurteilungen wegen Sexualdelikten und anderen Straftaten wurde der Betroffene zuletzt durch Urteil des LG Stuttgart vom 27.9.1985 - 2 KLs 279/84 - wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Außerdem wurde Sicherungsverwahrung angeordnet. Nach dem zum Zeitpunkt der Verurteilung des Betroffenen geltenden Recht betrug die Höchstdauer der Sicherungsverwahrung 10 Jahre. Diese zeitliche Beschränkung entfiel mit dem am 31.1.1998 in Kraft getretenen Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.1.1998. Daher ordnete das damals zuständige LG Freiburg nach Vollzug von 10 Jahren Sicherungsverwahrung mit Beschluss vom 9.3.1999 die Fortdauer der Sicherungsverwahrung an.
Der Betroffene ist mehrfach nervenärztlich und kriminalprognostisch begutachtet worden. Das letzte auf einer eingehenden Exploration des Betroffenen beruhende Gutachten stammt vom 18.8.1999. Seitdem hat der Betroffene jeden Versuch einer eingehenden gutachterlichen Untersuchung durch die gerichtlich beauftragten Sachverständigen abgelehnt.
Nach Einholung eines psychiatrischen Gutachtens, das der Sachverständige Dr. Heinrich wegen verweigerter Mitwirkung des Betroffenen am 4.2.2010 nach Aktenlage erstattete, ordnete die Strafvollstreckungskammer des LG Heilbronn mit Beschluss vom 19.3.2010 die Fortdauer der Sicherungsverwahrung an. Hiergegen legte der Betroffene Beschwerde ein. Im Beschwerdeverfahren hat das OLG ein weiteres psychiatrisches Gutachten eingeholt. Die sachverständige Äußerung des Dr ... vom 22.7.2010 erfolgte auf der Basis eines etwa einstündigen Gesprächskontakts mit dem Betroffenen. Er sieht zwar, im Gegensatz zu dem Gutachten ..., bei dem Betroffenen keine psychische Störung, die eine "fürsorgliche Unterbringung" in einem psychiatrischen Krankenhaus rechtfertigen würde. Auch er sieht aber eine ungünstige Kriminalprognose. Er führt die bei einer Entlassung zu vermutende Gefährlichkeit auf die dissoziale Lebenseinstellung des Betroffenen und die hieraus erwachsenden Verhaltensweisen zurück.
Der zuständige Strafsenat des OLG Stuttgart (1 Ws 7/10) beabsichtigte, auch nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17.12.2009 (19359/09, NJW 2010, 2495) in den sog. Altfällen die Frage der Fortgeltung der bis 30.1.1998 gültigen Höchstdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung von 10 Jahren (§ 67d Abs. 1 Satz 1 StGB a.F.) zu bejahen. An einer entsprechenden Entscheidung sah sich der Senat durch entgegenstehende Rechtsprechung, u.a. des 4. Strafsenats des BGH, gehindert. Er legte die Sache deshalb mit Beschluss vom 19.8.2010 dem BGH zur Entscheidung vor. Mit Beschluss vom 9.11.2010 hat der 5. Strafsenat des BGH, der seinerseits von der Rechtsprechung des 4. Strafsenats des BGH abweichen wollte, die Sache dem Großen Senat des BGH zur Entscheidung vorgelegt.
Im Hinblick auf die Dauer des Verfahrens nach § 132 GVG hat der 5. Strafsenat des BGH die Akten den vorlegenden OLG zurückgegeben. Diese sollten bereits vor Klärung der Vorlegungsfrage in die Lage versetzt werden zu überprüfen, ob - unabhängig von der Vorlegungsfrage - die Freiheitsentziehung gegen die Betroffenen zu beenden oder die Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen ist.
Der 1. Strafsenat des OLG Stuttgart hat mit Beschluss vom 8.12.2010 die einstweilige Fortdauer der Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung angeordnet und mit Beschlüssen vom 31.1.2011 und vom 17.3.2011 weitere Entlassungsanträge des Betroffenen zurückgewiesen. Bereits mit Beschluss vom 1.6.2010 war ein unter Bezugnahme auf das seit dem 10.5.2010 rechtskräftige Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17.12.2009 gestellter Entlassungsantrag zurückgewiesen worden.
3. Im vorliegenden Verfahren nach dem ab 1.1.2011 gül...