Leitsatz (amtlich)
1. Anders als beim Ehegattenunterhalt hängt der Einsatz von Vermögen beim Verwandtenunterhalt nicht von einer Billigkeitsabwägung ab. Einschränkungen der Obliegenheit zum Einsatz des Vermögensstammes ergeben sich aber daraus, dass nach dem Gesetz auch sonstige Verpflichtungen des Unterhaltsschuldners zu berücksichtigen sind (im Anschluss BGH, Urteil vom 30. August 2006 - XII ZR 98/04 -, BGHZ 169, 59-77- juris RN. 26 f.).
2. Der Eigentümer einer nicht selbst genutzten Immobilie kann der Verpflichtung zur Verwertung der Immobilie für den Unterhalt minderjähriger Kinder gem. § 1603 Abs. 1 BGB Nutzungsrechte eines Dritten an der Immobilie entgegenhalten, auch wenn diese nicht durch eine Eintragung im Grundbuch dinglich gesichert sind.
Normenkette
BGB § 1603
Verfahrensgang
AG Bad Urach (Beschluss vom 08.06.2022; Aktenzeichen 1 F 220/20) |
Tenor
1. Der Beschluss des Amtsgerichts Bad Urach - Familiengericht -, Az.: 1 F 220/20, vom 08.06.2022 wird abgeändert. Der Antrag des Antragstellers wird zurückgewiesen.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 29.336,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1. Der Antragsteller macht Unterhaltsleistungen gegen die Antragsgegnerin aus übergegangenem Recht gemäß § 7 Unterhaltsvorschussgesetz i.V.m. §§ 1601 ff. BGB geltend.
Der Antragsteller hat im streitgegenständlichen Unterhaltszeitraum vom 01.01.2017 bis 31.05.2020 für die Kinder der Antragsgegnerin B. Unterhaltsleistungen in Höhe von insgesamt 7.334,00 EUR, P. Unterhaltsleistungen in Höhe von insgesamt 8.456,00 EUR, J. Unterhaltsleistungen in Höhe von insgesamt 8.456,00 EUR und F. Unterhaltsleistungen in Höhe von insgesamt 10.611,00 EUR nach dem Unterhaltsvorschussgesetz erbracht.
Die Antragsgegnerin hatte im streitgegenständlichen Unterhaltszeitraum Einkommen aus einer vollschichtigen nichtselbständigen Erwerbstätigkeit. Die Wochenarbeitszeit betrug 42 Stunden. Die Fahrtstrecke vom Wohnort der Antragsgegnerin in ... zu ihrer Arbeitsstelle in ... betrug ca. 25 km. Die Fahrtzeit zur Arbeitsstelle mit dem eigenen Pkw belief sich einfach auf ca. 40 Minuten. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln hätte die Fahrtzeit ausweislich der vom Senat mit Google Maps durchgeführten Recherche ca. 1 Stunde 45 Minuten inklusive eines Fußwegs von 30 Minuten betragen. Die Antragsgegnerin erbrachte monatliche Zahlungen auf einen laufenden Pkw-Kredit in Höhe von monatlich 100,00 EUR und laufende Zahlungen an eine Inkassogesellschaft betreffend eine frühere Pkw-Finanzierung in Höhe von monatlich 100,00 EUR. Auf für den Antragsteller titulierte Unterhaltsrückstände bezahlte die Antragsgegnerin monatlich 100,00 EUR. Im Jahr 2018 betrieb die Antragsgegnerin zusätzliche Altersvorsorge in Höhe von monatlich 14,38 EUR und im Jahr 2019 in Höhe von monatlich 57,50 EUR. Im Jahr 2018 erhielt die Antragsgegnerin eine Steuererstattung in Höhe von 132,87 EUR (monatlich 11,07 EUR), im Jahr 2019 in Höhe von 104,00 EUR (monatlich 8,66 EUR) und im Jahr 2020 in Höhe von 95,75 EUR (monatlich 7,98 EUR).
Das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen der Antragsgegnerin betrug unstreitig im Jahr 2017 1.359,30 EUR, im Jahr 2018 1.397,01 EUR, im Jahr 2019 1.431,78 EUR und im Zeitraum Januar bis einschließlich Mai 2020 1.488,37 EUR.
Die Antragsgegnerin ist zusammen mit ihrer Schwester ... zur Hälfte Miteigentümerin des Grundstücks ... in .... Am 11.01.2013 erteilte das Amtsgericht ... der Antragsgegnerin und ihrer Schwester einen gemeinschaftlichen Erbschein zu je 1/2 des Nachlasses der am 17.08.2012 in ... verstorbenen Mutter der Antragsgegnerin, die vormals Alleineigentümerin des Grundstücks ... in ... war. Dem Erbschein lag das ausweislich des Vermerks des Amtsgerichts auf dem Testament (Bl. 154 der erstinstanzlichen Akte) am 18. September 2012 eröffnete Testament der Eltern der Antragsgegnerin zugrunde, in dem die verstorbene Mutter der Antragsgegnerin und ihr Vater, der bis zum heutigen Tage das auf dem Grundstück ... in ... befindliche Haus mietfrei bewohnt, u.a. verfügten, dass "bei Ableben eines Ehepartners der Verbleibende voll über die Hinterlassenschaften verfügt und dass nach dem Tod des anderen Ehepartners die beiden Töchter, ..., geborene ..., und ..., zu gleichen Teilen erben".
Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten wird auf die erstinstanzlich gewechselten Schriftsätze und vorgelegten Anlagen Bezug genommen.
Der Antragsteller hat erstinstanzlich zuletzt beantragt:
1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, an den Antragsteller rückständigen Kindesunterhalt für das am ... geborene Kind B. für die Zeit vom 01.01.2017 bis 31.05.2020 in Höhe von 7.334,00 EUR zu bezahlen.
2. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, an den Antragsteller rückständigen Kindesunterhalt für das am ... geborene Kind P. für die Zeit vom 01.01.2017 bis 31.05.2020 in Höhe von 8.456,00 EUR zu bezahlen.
3. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, an den Antragsteller rückstän...