Leitsatz (amtlich)
Erreicht das gem. Art. 14 EuZVO durch Einschreiben mit Rückschein zur Zustellung aufgegebene verfahrenseinleitende Schriftstück i.S.d. § 34 Nr. 2 EuGVO den Empfänger tatsächlich nicht, sondern wird das Schriftstück nach Hinterlegung auf dem Postamt und Nichtabholung durch den Adressaten an das versendende Gericht zurückgesandt, so könnte der Adressat höchstens dann behandelt werden, als hätte er das Schriftstück erhalten, wenn eine treuwidrige Zugangsvereitelung vorliegen würde. Beschränkt sich das Verhalten des Adressaten auf die schlichte Nichtabholung der auf dem Postamt hinterlegten Sendung, könnte darin höchstens dann eine treuwidrige Zugangsvereitelung liegen, wenn dem Adressaten erstens eine Benachrichtigung über die Hinterlegung des Schriftstücks auf dem Postamt zugegangen wäre und wenn zweitens die Benachrichtigung einen Art. 14 Abs. 1 Buchst. d) EuVTVO entsprechenden Hinweis auf den Inhalt der bei der Post lagernden Sendung enthalten hätte. Im Verfahren über die Anerkennung einer Entscheidung würde die Beweislast für den Zugang einer solchen Benachrichtigung den Antragsteller treffen. Hat der Antragsgegner des Verfahrens über die Anerkennung einer Entscheidung bereits im Urteilsstaat versucht, die Vollstreckbarkeit der Entscheidung mit der Begründung zu beseitigen, das verfahrenseinleitende Schriftstück sei nicht ordnungsgemäß zugestellt worden, so entfaltet die Entscheidung des Gerichts des Urteilsstaates im Verfahren über die Anerkennung der Entscheidung in einem Zweitstaat keine Bindungswirkung.
Normenkette
EuGVO Art. 34; EuZVO Art. 14
Verfahrensgang
LG Ulm (Beschluss vom 29.10.2009; Aktenzeichen 3 O 309/09) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Vorsitzenden der 3. Zivilkammer des LG Ulm vom 29.10.2009 - Geschäftsnummer 3 O 309/09 - aufgehoben und der Antrag der Antragstellerin abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Antragstellerin.
Wert: Bis 30.000 EUR
Gründe
I. Die Antragstellerin (im Folgenden: ASt.) ist eine italienische Gesellschaft in der Rechtsform der Società a responsabilità limitata (s. r. l.) mit Sitz in Bozen, der Antragsgegner (im Folgenden: Ag.) hat Wohnsitz im Inland in Süßen. Die Parteien streiten um die Bezahlung von Waren, die die ASt. im Jahr 2007 an den Ag. geliefert haben will.
1. Die ASt. beantragte beim LG Bozen einen Zahlungsbefehl im Mahnverfahren (ricorso per decreto inguintivo), der unter dem 10.4.2008 erlassen wurde. Auf Antrag der ASt. wurde der Zahlungsbefehl vom zuständigen Gerichtsvollzieher der Post zur Zustellung an die Adresse des Ag. in Süßen durch Einschreiben mit Rückschein übergeben. Über den weiteren Verlauf ist nur bekannt, dass das Schriftstück in der Folge jedenfalls durch die Deutsche Post nach Italien zurückgesandt wurde, wobei auf dem Umschlag verschiedene Vermerke angebracht waren. Darunter findet sich insb. ein Retourenaufkleber, auf dem unter dem Datum 3.7.2008 "Nicht abgeholt" angekreuzt ist, sowie handschriftlich eine Buchst f.olge, die der ASt. als "ben" liest und als "benachrichtigt" interpretiert, gefolgt von "17/06" und einem Handzeichen, außerdem - versetzt und gedreht - "2.7."
Auf Antrag der ASt. hat unter dem 22.11.2008 das LG Bozen die endgültige Vollstreckbarkeit des Zahlungsbefehls verfügt, dem Ag. wurde unter dem 13.2.2009 die entsprechende Leistungsaufforderung (atto di precetto) zugestellt.
Daraufhin versuchte der Ag. beim LG Bozen die Aussetzung der Vollstreckbarkeit des Zahlungsbefehls zu erreichen, da der Zahlungsbefehl nicht zugestellt worden sei. Am 9.7.2009 wies das LG Bozen diesen Antrag zurück. Die Zustellung erscheine einerseits gemessen an Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten ("Zustellung von Schriftstücken") und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates (EuZVO) als gültig und der Ag. habe andererseits nicht nachgewiesen, dass er ohne sein Verschulden nicht so rechtzeitig Kenntnis von dem Schriftstück erlangt habe, dass er sich (nicht) hätte verteidigen können.
2. Die ASt. begehrt für den Zahlungsbefehl vom 10.4.2008 Vollstreckbarerklärung und Klauselerteilung für das Inland. Auf ihren entsprechenden Antrag vom 9.10.2009 hat der Vorsitzende der 3. Zivilkammer des LG Ulm mit Beschluss vom 29.10.2009 den Zahlungsbefehl unter Zugrundelegung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22.12.2000 (EuGVO - ABl. EG 2001 Nr. L 12, 1) für vollstreckbar erklärt und Klauselerteilung angeordnet.
3. Der Ag. hat gegen den ihm am 17.11.2009 zugestellten Beschluss am 23.11.2009 Beschwerde beim OLG Stuttgart eingelegt. Er beantragt, den Beschluss des LG Ulm aufzuheben und die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung zu verweigern.
Er behauptet, von der Post nie eine Benachrichtigung über ein Schriftstück erhalten zu haben, ...