Rechtskräftig durch Nichtannahme-Beschluß des BGH vom 13.10.1994 – V ZR 3/94 –
Entscheidungsstichwort (Thema)
nachbarrechtliche Duldung
Leitsatz (amtlich)
Beim Fehlen einer ausdrücklichen Regelung im Landesnachbarrecht ist die vorübergehende Grundstücksbefestigung durch Rückverankerung einer Bohrpfahlwand im Nachbargrundstück gem. § 905 Satz 2 BGB und nach den Grundsätzen des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses dann zu dulden, wenn das geplante Vorhaben baurechtlich genehmigt ist und bei Beachtung der allgemein anerkannten Regeln der Baukunst eine wesentliche Gefährdung des Nachbargrundstücks ausgeschlossen werden kann, theoretisch denkbare kleinere Schäden dauerhaft saniert werden können, eine wesentlich merkantile Wertminderung des Nachbargrundstücks nicht eintritt und andererseits das Bauvorhaben überhaupt nicht oder nur mit größeren Gefahren oder unverhältnismäßig hohen Kosten durchgeführt werden kann.
Normenkette
BGB §§ 903, 905, 909, 1004, 242
Verfahrensgang
LG Heilbronn (Urteil vom 21.12.1992; Aktenzeichen 3 O 1204/92 II) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der Einzelrichterin der 3. Zivilkammer des Landgerichts Heilbronn vom 21.12.1992 teilweise
abgeändert
und wie folgt neu gefaßt:
1. Die Beklagten werden verurteilt, es nach vorheriger Sicherheitsleistung der Klägerin in Höhe von 300.000,– DM auf die Dauer von 5 Jahren nach der Rohbauabnahme gemäß § 66 LBO zu Gunsten der Beklagten als Gesamtgläubiger zu dulden,
daß ihre Hausgrundstücke auf Gemarkung B. „…”, Parzellen-Nrn. 22/6, 22/4 und 22/7 (Beklagte Ziff. 1) sowie „…”, Parzelle-Nr. 22/3 (Beklagte Ziff. 2) und „…”, Parzelle-Nr. 22/2 (Beklagte Ziff. 3) im Zuge der Ausführung des Bauvorhabens der Klägerin zur Errichtung eines Wohn- und Geschäftshauses mit Tiefgarage auf dem „…berg” (Baugenehmigung des Landratsamtes L. vom 16.4.1991, Az.: …) zur Sicherung der Baugrube durch die unterirdische Rückverankerung einer Bohrpfahlwand unter Anwendung erschütterungsarmer Bohrverfahren in Anspruch genommen werden,
jedoch nur Zug um Zug gegen Zahlung von 75.000,– DM an die Beklagten als Gesamtgläubiger.
2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. 1. Auf die Hilfswiderklage wird die Klägerin verurteilt,
- den Beklagten als Gesamtgläubigern vor Beginn der Inanspruchnahme ihrer Grundstücke gemäß vorstehender Ziff. I 1. auf die Dauer von 5 Jahren nach der Rohbauabnahme gemäß § 66 LBO Sicherheit in Höhe von 300.000,– DM zu leisten,
- an die Beklagten als Gesamtgläubiger 75.000,– DM zu zahlen Zug um Zug gegen Duldung der Inanspruchnahme ihrer Grundstücke durch die Klägerin gemäß vorstehender Ziff. I 1.
2. Im übrigen wird die Hilfswiderklage abgewiesen.
IV. Die in beiden Instanzen entstandenen Kosten werden wie folgt verteilt:
Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt diese selbst 7 %, die Beklagten tragen je 31 %. Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten tragen diese selbst 93 %, die Klägerin 7 %.
V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von je 16.000,– DM abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in jeweils gleicher Höhe leistet. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von je 2.000,– DM abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
VI. Wert der Beschwer für die Klägerin und die Beklagten: jeweils über 60.000,– DM.
Streitwert: 1,3 Millionen DM (Klage 950.000,– DM, Hilfswiderklage 350.000,– DM).
Tatbestand
Die Beklagten sind Eigentümerinnen der 3 nebeneinander liegenden, im Tenor bezeichneten, mit Reihenhäusern bebauten Grundstücke in B.. Diese Grundstücke liegen auf der Anhöhe des …bergs. Nordöstlich der Grundstücke verläuft ca. 7 bis 8 m tiefer die L. Straße. Die Klägerin hat das Hanggrundstück zwischen der L. Straße und den Grundstücken der Beklagten am 28.6.1990 von der Gemeinde B. gekauft und will es mit einem Wohn- und Geschäftshaus mit Tiefgarage bebauen. Die Baumaßnahme greift bergseitig bis zu 12 m tief in das vorhandene Gelände ein, und zwar an der Grenze der Grundstücke der Beklagten und ca. 5 m von den Häusern entfernt. Um das Abrutschen des Hanges und damit auch der Grundstücke der Beklagten zu verhindern, muß die Baugrube gesichert werden. Diese Sicherung will die Klägerin entsprechend einem Gutachten des von ihr beauftragten Prof. Dr. V. durch eine Bohrpfahlwand an der Grundstücksgrenze mit rückwärtiger Verankerung unterhalb der Häuser der Beklagten vornehmen. Nach dieser Planung beträgt der geringste Abstand zwischen der Fundamentunterkante der Häuser der Beklagten und den Stahlseilen ca. 5,30 m bei der obersten Ankerreihe. Darunter sollen im Abstand von ca. 3,5 m zwei weitere Ankerreihen folgen. Die Betonanker selbst sollen ca. 13 bis 16 m unterhalb der Bodenplatte der Häuser der Beklagten angebracht werden. Die horizontalen Ankerabstände sollen ca. 1,4 bis 2 m betragen. In jedem der ...