Leitsatz (amtlich)

Zu den Voraussetzungen einer Scheidung nach türkischem Recht. Derjenige Ehegatte, den das alleinige oder überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe trägt, ist nicht berechtigt, einen Scheidungsantrag zu stellen. Zur Rechtsmissbräuchlichkeit des Widerspruchsrechtes.

 

Normenkette

tZGB Art. 166

 

Verfahrensgang

AG Stuttgart-Bad Cannstatt (Beschluss vom 10.10.2011; Aktenzeichen 2 F 417/11)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Stuttgart-Bad Cannstatt vom 10.10.2011 - 2 F 417/11 - abgeändert:

Der Scheidungsantrag des Antragsgegners wird zurückgewiesen.

2. Der Beschluss des AG - Familiengericht - Stuttgart - Bad Cannstatt vom 10.10.2011 - 2 F 417/11 - ist hinsichtlich der dort zu Ziff. 2 getroffenen Regelung (Entscheidung über die Folgesache Versorgungsausgleich) gegenstandslos.

3. Der Antragsgegner hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Beschwerdewert: EUR 4.813,00

(Ehescheidung: EUR 3.813,00, Versorgungsausgleich EUR 1.000,00)

 

Gründe

I. Die beteiligten Eheleute sind türkische Staatsangehörige. Sie haben am 10.3.1977 in C. in der Türkei die Ehe geschlossen. Aus der Ehe sind zwei mittlerweile volljährige Kinder hervorgegangen. Seit 2005 leben die Eheleute nach dem Auszug des Antragsgegners aus der Ehewohnung voneinander getrennt.

Im Mai 2006 reichte die Antragstellerin einen Scheidungsantrag ein, um eine Rückkehr des Antragsgegners in die Türkei zu verhindern. Sie wollte die damals sich noch in der Ausbildung befindenden Kinder durch ihren Ehemann materiell versorgt sehen. Der Antragsgegner trat dem Scheidungsbegehren entgegen. Einen Scheidungsantrag stellte die Antragstellerin in den anberaumten mündlichen Verhandlungsterminen nicht mehr.

Im März 2011 begehrte der Antragsgegner auf Grund seines Scheidungswunsches die Fortsetzung des Scheidungsverfahrens. Im Oktober 2011 nahm die Antragstellerin ihren noch rechtshängigen Scheidungsantrag zurück, weil sie sich von ihrem Ehemann nicht scheiden lassen wollte.

Das Familiengericht hat mit der angefochtenen Entscheidung die Ehe nach türkischem Recht geschieden und auf den Hilfsantrag der Antragstellerin den Versorgungsausgleich nach deutschem Recht durchgeführt.

Das Familiengericht hat seine Entscheidung damit begründet, dass die Eheleute seit 2005 getrennt voneinander leben und eine vollständige Zerrüttung eingetreten sei. Der Widerspruch der Antragstellerin sei rechtsmissbräuchlich, da der Ehefrau die eheliche Gesinnung abhanden gekommen sei und sie keine ernsthaften Anstrengungen unternommen habe, die Ehe wieder herzustellen. Unbeachtlich sei der aus der Scheidung resultierende Status einer geschiedenen Frau und der damit verbundene Verlust ihres Ansehens.

Gegen den Scheidungsausspruch wendet sich die Ehefrau mit ihrer Beschwerde. Mit ihrer Beschwerde bringt sie vor, ihrer Ansicht nach stehe dem Antragsgegner auf Grund seiner Gewalttätigkeiten in der Ehe kein eigenes Scheidungsrecht zu. Da der Antragsgegner die Zerrüttung der Ehe allein verschuldet habe, stehe ihr auch ein Widerspruchsrecht zu, dessen Geltendmachung nicht rechtsmissbräuchlich sei.

Die Antragstellerin beantragt, den Beschluss des AG - Familiengericht - Stuttgart-Bad Cannstatt vom 18.7.2011 - 3 F 1151/10 - aufzuheben und den Scheidungsantrag des Antragsgegners zurückzuweisen.

Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Gegenüber seiner Ehefrau sei er nicht gewalttätig geworden. Seine Ehefrau habe ihn im Rahmen einer Auseinandersetzung in die Hand gebissen. Er möchte in jedem Fall geschieden werden, da er beabsichtige seine Freundin zu heiraten. Seine Ehefrau handle widersprüchlich, wenn sie, obwohl sie einen eigenen Scheidungsantrag gestellt habe, sich dem Scheidungsbegehren widersetze.

Der Senat hat mit den Beteiligten am 13.3.2012 mündlich verhandelt; auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.

II. Die gem. §§ 58 ff. FamFG statthafte und zulässige Beschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Zurückweisung des Scheidungsantrages.

1. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 lit. a erster Spiegelstrich VO (EG) 2201/2003 vom 27.11.2003 (Brüssel IIa-VO). Beide Eheleute haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.

2. Die Ehescheidung ist nach türkischem Recht zu beurteilen (Art. 17 Abs. 1 Satz 1, Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB), wobei nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB auch dessen internationales Privatrecht anzuwenden ist (vgl. Palandt/Thorn, EGBGB, 71. Aufl., Art. 4 Rz. 1). Damit findet auch das türkische Gesetz Nr. 5718 vom 27.11.2007 über das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht Anwendung. Nach Art. 14 Ziff. 1 Satz 1 dieser Vorschrift ist das gemeinsame Heimatrecht der Ehegatten anzuwenden. Das türkische Recht nimmt somit die Verweisung an. Eine Rückverweisung erfolgt nur bei verschiedener Staatsangehörigkeit und einem gemeinsamen Aufenthalt.

3. Nach Art. 166 Abs. 1 des türkischen Zivilgesetzbuches (tZGB) in...

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