Leitsatz (amtlich)

1. Für die isolierte Anfechtung eines Beschlusses der Hauptversammlung, mit dem der Antrag auf Abwahl des Versammlungsleiters abgelehnt wurde, besteht kein Rechtsschutzbedürfnis. Statthaft und zulässig wäre demgegenüber eine Anfechtungsklage gegen den ablehnenden Beschluss in Kombination mit einer positiven Feststellungsklage gerichtet auf Feststellung der Abwahl des Versammlungsleiters.

2. Vorgänge, die sich nicht auf die Tätigkeit des Versammlungsleiters beziehen, so ein eventuelles Fehlverhalten außerhalb der Hauptversammlung sowie charakterliche Defizite, die sich nicht auf die Hauptversammlungsleitung auswirken, sind grundsätzlich nicht geeignet, einen wichtigen Grund für die Abwahl des Versammlungsleiters darzustellen. Erst recht stellt ein außerhalb der Hauptversammlung liegendes Verhalten regelmäßig keinen Grund dar, der die Treuwidrigkeit der Ablehnung des Abwahlantrags durch die Mehrheit begründen und die Mehrheit der Aktionäre aus Gründen der Treuepflicht gegenüber der Minderheit verpflichten könnte, einem Abwahlantrag zuzustimmen.

3. Die Anfechtbarkeit eines Entlastungsbeschlusses scheidet dann aus, wenn die tatsächlichen Umstände, die den Vorwurf einer schwerwiegenden und eindeutigen Pflichtverletzung begründen sollen, aus der Perspektive der Hauptversammlung nicht aufgeklärt sind. Auf Umstände, die erst im Rahmen eines Anfechtungsprozesses aufgeklärt werden sollen, kann eine Anfechtung nicht gestützt werden.

4. Durch die Entlastung wird grundsätzlich nur das Verhalten des zu Entlastenden in dem der Entlastung zugrunde liegenden Zeitraum gebilligt. Eine Pflicht zur Verweigerung der Entlastung kann sich demnach in der Regel nur auf Grund von eindeutigen und schwerwiegenden Gesetzesverstößen ergeben, die in der Entlastungsperiode begangen wurden. Auf Handlungen in früheren Zeiträumen kann die Anfechtung des Entlastungsbeschlusses deshalb grundsätzlich nicht gestützt werden.

5. Die Verfahrenskosten eines Anfechtungsverfahrens gegen einen Entlastungsbeschluss, das wegen Entlastung trotz einer eindeutigen und schwerwiegenden, der Hauptversammlung erkennbaren Pflichtverletzung des zu entlastenden Organs Erfolg hat, stellen keinen Schaden dar, der der Pflichtverletzung des Organs zuzurechnen ist. Das Dazwischentreten der Entscheidung der Hauptversammlung unterbricht den Zurechnungszusammenhang.

6. Der Aufsichtsrat ist grundsätzlich nicht verpflichtet, in sich abgeschlossene Entscheidungen des Aufsichtsrats der vergangenen Jahre immer wieder daraufhin zu überprüfen, ob diese rechtmäßig waren. Er muss ohne besondere Veranlassung nicht jährlich erneut darüber befinden, ob vor mehreren Jahren auf Grund einer Aufsichtsratsentscheidung gezahlte Vorstandsvergütungen und Abfindungen damals zu Recht bezahlt wurden. Etwas anderes gilt dann, wenn der Aufsichtsrat Kenntnis von der Unwirksamkeit der damals abgeschlossenen Vereinbarungen hatte oder sich ihm diese - auch auf Grund neuerer Erkenntnisse - aufdrängen musste.

7. Zur Anfechtung wegen Informationspflichtverletzungen im Zusammenhang mit behaupteten unzureichenden Auskunftserteilungen in der Hauptversammlung betreffend die Entlastung der Organe sowie die Wahl des Aufsichtsrats.

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 23.09.2014; Aktenzeichen 31 O 54/13 KfH)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Stuttgart vom 23.9.2014 - 31 O 54/13 KfH, wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil des LG Stuttgart vom 23.9.2014 - 31 O 54/13 KfH, sowie dieses Urteil sind im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des vollstreckbaren Betrags leistet.

Berufungsstreitwert: 125.000 EUR

 

Gründe

A. Die Klägerin, ein eingetragener Verein, wendet sich als stimmrechtslose (Vorzugs-) Aktionärin der Beklagten gegen die in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten am 30.4.2013 gefassten Beschlüsse über die Ablehnung ihres Antrags auf Abwahl des Hauptversammlungsleiters, die Entlastung des Vorstands (TOP 3) und die Entlastung des Aufsichtsrats (TOP 4) jeweils für das Geschäftsjahr 2012 sowie die Wahl von fünf Aufsichtsratsmitgliedern (TOP 6).

Die Beklagte ist eine börsennotierte Gesellschaft in der Rechtsform der Europäischen Aktiengesellschaft (SE). Sämtliche Stammaktien wurden seit Juni 2013 - nach Rückkauf der 10%igen Beteiligung des E. K. - von den Familien X und Y gehalten (Geschäftsbericht 2013, S. 44 und 58 unter www ... com,... sowie Bl. 69). Die Beklagte war im Jahr 2013 mit einem Anteil von rund 50,7 % der Stimmrechte und rund 32,2 % des Grundkapitals an der Z AG (Z) beteiligt (Bl. 69 sowie Geschäftsbericht 2013, S. 458). Der Aufbau der Beteiligung an Z erfolgte seit 2005 sukzessive. Neben dem unmittelbaren Erwerb von Z-Stammaktien hatte die Beklagte Derivatgeschäfte auf Z-Aktien abgeschlossen. Sie erwarb dabei...

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