Verfahrensgang

LG Heilbronn (Urteil vom 17.12.2020; Aktenzeichen 4 O 83/20)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 11.05.2023; Aktenzeichen III ZR 41/22)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 17. Dezember 2020 (4 O 83/20) wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil des Senats und - soweit die Berufung zurückgewiesen wurde - das Urteil des Landgerichts Heilbronn sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung des Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

Streitwert: 8.000,00 EUR

 

Gründe

A. 1. Die Klägerin verlangt Entschädigung wegen der Schließung ihres Frisiersalons im Frühjahr 2020 in der Corona-Pandemie.

Aufgrund der sogenannten CoronaVO des Landes (Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2) war der Betrieb der Klägerin vom 23.03.2020 bis 04.05.2020 geschlossen. Die Klägerin hat 9.000,00 EUR aus dem Soforthilfeprogramm des Landes erhalten, die sie nach dem in zweiter Instanz unstreitig gebliebenen Vortrag zurückzahlen muss.

Zwischen den Parteien besteht Streit, ob

  • die Betriebsschließung erforderlich war,
  • der Klägerin aus §§ 56, 65 IfSG, § 55 PolG BW, enteignendem beziehungsweise enteignungsgleichem Eingriff, Aufopferung oder direkt Art. 14 GG ein Entschädigungsanspruch in Höhe von 8.000,00 EUR zusteht.

2. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Die Klägerin könne keine Ansprüche aus §§ 56, 65 IfSG herleiten, da sie nicht zu dem dort geschützten Personenkreis gehöre und die Betriebsschließung nicht auf §§ 16, 17 IfSG beruhte, sondern auf § 28 IfSG, für den § 65 IfSG nicht gelte. Für eine analoge Anwendung der Vorschriften fehle die erforderliche Lücke. Ansprüche aus § 55 PolG seien wegen der abschließenden Regelung des PolG ausgeschlossen. Für einen enteignenden Eingriff fehle es am erforderlichen individuellen Sonderopfer, zudem am Erfordernis einer einzelfallbezogenen Eigentumsbeeinträchtigung. Der allgemeine Aufopferungsanspruch erfasse nicht den streitbefangenen Sachverhalt, gelte wiederum nur für Einzelfälle. Ansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff seien nicht gegeben, weil die Schließung rechtmäßig gewesen sei und es an einer unmittelbaren Eigentumsbeeinträchtigung fehle.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und zu den Feststellungen des Landgerichts wird auf das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 17. Dezember 2020 (I 4 O 83/20) Bezug genommen (Blatt 177 - 192; § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

3. Die Berufungsbegründung der Klägerin rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts:

  • In formeller Hinsicht:
  • Das Landgericht habe rechtsfehlerhaft den Vortrag des beklagten Landes zur Intention der Bezugnahme auf § 31 IfSG nicht als unstreitig behandelt,
  • die Beweisangebote zur Intention der Bezugnahme auf § 31 IfSG seien übergangen worden,
  • das Beweisangebot zur Intention des Bundesgesetzgebers bei der Schaffung einer Entschädigungsregelung sei rechtsfehlerhaft übergangen worden.
  • Materielle Rügen:
  • Die Anwendung von § 56 IfSG sei rechtsfehlerhaft abgelehnt worden,
  • eine analoge Anwendung von § 56 IfSG sei zu Unrecht abgelehnt worden,
  • die analoge Anwendung der Entschädigungsregelungen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts sei zu Unrecht abgelehnt worden,
  • die Anwendung der Grundsätze des enteignenden beziehungsweise enteignungsgleichen Eingriffs sei zu Unrecht abgelehnt worden.

a. Im Hinblick auf Verfahrensfehler macht die Berufung geltend:

aa. Das Landgericht habe verfahrensfehlerhaft angenommen, dass § 31 IfSG als Rechtsgrundlage keine Rolle gespielt habe. Die Klägerin habe ausführlich dargelegt, dass die Betriebsschließung auf § 31 IfSG gestützt worden sei, die Beklagte habe dazu nichts Substantiiertes vorgetragen, weshalb der Vortrag als unstreitig zu behandeln sei. Zumindest hätte das Landgericht den Beweisangeboten in der Replik nachgehen müssen (dort Seite 13), was ergeben hätte, dass die Schließung auf § 31 IfSG gestützt werden sollte, woraus sich dann eine unmittelbare Anwendung von § 56 IfSG ergebe.

Soweit das Landgericht unterstellt habe, § 28 IfSG sei herangezogen worden, sei verkannt und übergangen worden, was dazu tatsächlich vorgetragen worden sei.

bb. Die Klägerin habe ausdrücklich vorgetragen, dass die Materialien bezüglich der Entschädigungsregelungen zum Bundesseuchengesetz und dem IfSG keine Hinweise enthielten, dass diese abschließend sein sollten, die dazugehörigen Beweisantritte der Klägerin habe das Landgericht übergangen. Es verstoße gegen Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG, wenn ein Zivilgericht in evidenter Ermangelung eines hinreichenden Anhaltspunkts in den Gesetzesmaterialien auf den vermeintlich abschließenden Inhalt aufgrund eines vermeintlichen Willens des Gesetzgebers erkenne, ohne die...

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