Verfahrensgang
LG Stuttgart (Aktenzeichen 7 O 285/20) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 26. Februar 2021 (7 O 285/20) wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil des Senats und - soweit die Berufung zurückgewiesen wurde - das Urteil des Landgerichts Stuttgart sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung des beklagten Landes gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Streitwert: 8.326,48 EUR
Gründe
A. 1. Der Kläger verlangt Entschädigung wegen eines Veranstaltungsverbots von März bis Juli 2020 aufgrund der Corona-Pandemie.
Der Kläger betreibt ein Musik- und Produktionsunternehmen und ist Leiter einer Musikgruppe. Aufgrund der sogenannten CoronaVO des Landes (Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2) waren vom 16.03.2020 bis Juli 2020 Versammlungen untersagt, weshalb der Kläger keine Veranstaltungen durchführen konnte. Der Betrieb des Klägers war nicht geschlossen, er macht Ansprüche wegen einer faktischen Schließung geltend.
Zwischen den Parteien besteht Streit, ob
- die faktische (mittelbare) Betriebsschließung rechtmäßig war,
- dem Kläger aus §§ 839 BGB, 56, 65 IfSG, § 55 PolG BW a.F, enteignendem beziehungsweise enteignungsgleichem Eingriff, Aufopferung ein Anspruch wegen der Ertragsausfälle in Höhe von 8.326,48 EUR zusteht.
2. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Ein Anspruch aus § 839 BGB bestehe nicht, weil es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine Entschädigung für legislatives Unrecht gebe, hier mangels einer direkten Betriebsschließung keine individuelle Betroffenheit vorgelegen habe, die mittelbare Betroffenheit den Kläger als "Jedermann" betroffen habe. Der Kläger könne keine Ansprüche aus §§ 56, 65 IfSG herleiten, da er nicht zum dort geschützten Personenkreis gehöre und die Betriebsschließung nicht auf §§ 16, 17 IfSG beruhte, sondern auf § 28 IfSG, für den § 65 IfSG nicht gelte. Der Kläger sei kein Störer. Für eine analoge Anwendung der Vorschriften fehle die erforderliche Lücke. Ansprüche aus § 55 PolG BW a.F. seien wegen der abschließenden Regelung des IfSG ausgeschlossen. Für einen enteignenden Eingriff fehle es am erforderlichen individuellen Sonderopfer, zudem am Erfordernis einer einzelfallbezogenen Eigentumsbeeinträchtigung. Der allgemeine Aufopferungsanspruch erfasse nicht den streitbefangenen Sachverhalt, gelte wiederum nur für Einzelfälle. Ansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff seien nicht gegeben, weil das Versammlungsverbot kein Sonderopfer begründet habe und es an einer unmittelbaren Eigentumsbeeinträchtigung fehle.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und zu den Feststellungen des Landgerichts wird auf das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 26. Februar 2021 (7 O 285/20) Bezug genommen (Blatt 212 - 230; § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
3. Die Berufung des Klägers verfolgt weiter die erstinstanzlich gestellten Anträge. Der Kläger macht zusammengefasst geltend, dass
- das Betriebsverbot materiell rechtswidrig gewesen sei, da § 28 IfSG keine Versammlungsverbote und Betriebsschließungen erlaubt habe, weshalb ein Anspruch aus § 839 BGB bestehe,
- ein Anspruch auch aus enteignungsgleichem Eingriff bestehe,
- der Anspruch auch aus § 65 IfSG, § 56 IfSG analog, § 55 PolG BW a.F. oder Aufopferung folge.
a. Die Verneinung eines Anspruchs aus § 65 IfSG (direkt oder analog) sei unvertretbar. § 65 IfSG gewähre dem Nichtstörer eine Entschädigung. Der Kläger sei als Nichtstörer für das Infektionsgeschehen nicht verantwortlich. Wenn § 65 IfSG dem Nichtstörer eine Entschädigung gewähre, dagegen § 56 IfSG sogar Entschädigungsansprüche des Störers vorsehe, sei es mit Art. 3 GG unvereinbar, dem Kläger eine Entschädigung zu verwehren, nur weil er von einer bekämpfenden (§ 28 IfSG), nicht von einer vorbeugenden Maßnahme betroffen sei. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger weiter ausgeführt, die Beschränkungen der Art. 12, 14 GG seien nur dann hinzunehmen, wenn es insoweit im Ausgleich einen Anspruch auf Entschädigung gebe, dies sei die zu entscheidende "Gretchenfrage."
Eine trennscharfe Unterscheidung zwischen Verhütungs- und Bekämpfungsmaßnahmen sei nicht möglich. Schon § 17 IfSG spreche von einer Bekämpfung, das IfSG sei also nicht konsistent, weshalb § 65 IfSG nicht nur ausschließlich auf prophylaktische Maßnahmen anzuwenden sei. Dem sei auch das Landgericht Berlin gefolgt (Urteil vom 13.10.2020, 2 O 274/29). § 65 IfSG enthalte insoweit eine Ausprägung des Aufopferungsanspruchs. Die Betriebsschließung sei im Hinblick auf das damalige Infektionsgeschehen insoweit auch als Maßnahme im Sinne des § 16 IfSG anzusehen.
Das Landgericht habe keine tragfähige Begründung für die von ihm...