Leitsatz (amtlich)
1. Nach Verjährung deliktischer Ansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Fahrzeugs mit dem Motor EA189 gegen dessen Herstellerin kommt im Falle des Erwerbs des Fahrzeugs von der Motorherstellerin oder mittelbar von ihr über ihren Vertragshändler ein Anspruch aus § 852 S. 1 BGB in Betracht.
2. Als "erlangt" i.S.d. § 852 S. 1 BGB ist in diesem Fall der Kaufpreis anzusehen, den die Herstellerin durch die Veräußerung des Fahrzeugs - im Falle der Veräußerung über einen Vertragshändler gekürzt um die Händlermarge - erhalten hat.
3. Der Anspruch aus § 852 S. 1 BGB ist der Höhe nach begrenzt durch den verjährten deliktischen Anspruch.
Normenkette
BGB §§ 826, 852
Verfahrensgang
LG Ellwangen (Urteil vom 03.09.2020; Aktenzeichen 2 O 177/20) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Ellwangen vom 3.9.2020 (Az. 2 O 177/20) abgeändert und wie folgt neu gefasst:
a. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 14.958,92 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.5.2020 zu zahlen. Die Verurteilung erfolgt Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW VW Polo 1.6 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) WVWZZZ6RZCY157135.
b. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.005,55 EUR freizustellen.
c. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Von den Kosten des Rechtsstreits in 1. Instanz trägt der Kläger 45% und die Beklagte trägt 55%.
4. Dieses Urteil und das Urteil des LG Ellwangen sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des jeweiligen Urteils vollstreckbaren Betrags, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags erbringt.
5. Die Revision wird zugelassen.
Streitwert: bis 14.968,76 EUR
Gründe
I. Der Kläger verlangt Schadensersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung im Zusammenhang mit dem Erwerb eines von der Beklagten hergestellten Kraftfahrzeugs.
Er kaufte am 25.1.2012 von einem Autohaus in Schwäbisch Gmünd, das unter anderem auch Neufahrzeuge der VW AG als Vertragshändler vertreibt, als Neufahrzeug einen VW Polo 1.6 TDI zu einem Kaufpreis von 20.500 EUR. Das Fahrzeug wurde übergeben, der Kaufpreis bezahlt. Es ist mit einem Dieselmotor vom Typ EA 189 (EU 5), der vom sogenannten "Abgasskandal" betroffen ist, ausgestattet. Der Kläger verlangt von der Beklagten, der Herstellerin des Fahrzeugs und des Motors, Schadensersatz.
Für das Fahrzeugmodell lag zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die Beklagte eine EG-Typgenehmigung vor. Die Motorsteuergerätesoftware verfügte über eine Fahrzykluserkennung; diese erkennt, wenn das Fahrzeug auf dem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchfährt. Die Software weist zwei unterschiedliche Betriebsmodi auf. Im NEFZ schaltet sie in den Modus 1, in dem es zu einer höheren Abgasrückführungsrate und zu einem verminderten Ausstoß von Stickoxiden (NOx) kommt. Außerhalb des NEFZ wird das Fahrzeug im Modus 0 betrieben.
Mitte Oktober 2015 ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) gegenüber der Beklagten den Rückruf von 2,4 Millionen betroffenen Fahrzeugen an und vertrat die Auffassung, dass es sich bei der in den Fahrzeugen verwendeten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt. Es ordnete an, die entsprechende Software aus allen Fahrzeugen zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands sowie der Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hatte das Fahrzeug eine Laufleistung von 81.089 km.
1. Das Landgericht hat die Beklagte zur Bezahlung von 14.968,76 EUR Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs verurteilt sowie die Feststellung ausgesprochen, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs im Annahmeverzug befindet, und die Beklagte zur Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 1.005,55 EUR verurteilt. Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB seien erfüllt. Verjährung sei nicht eingetreten, da es dem Kläger aufgrund der Gesamtumstände unzumutbar gewesen wäre, noch im Jahr 2016 Klage zu erheben. Hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
2. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Das Landgericht habe verkannt, dass mit Ablauf des Jahres 2018 Verjährung eingetreten sei. Jedenfalls habe das Landgericht zu Unrecht Annahmeverzug festgestellt...