Leitsatz (amtlich)

Wenn eine generelle Regelung, wonach Grundstücksangelegenheiten in nichtöffentlicher Sitzung des Gemeinderats zu behandeln sind, fehlt, hat ein Gemeinderat grundsätzlich in öffentlicher Sitzung über die Ausübung eines Vorkaufsrechts und den zu zahlenden Betrag zu verhandeln und zu beschließen.

Entscheidet der Gemeinderat in nichtöffentlicher Sitzung, hat die Gemeinde im Prozess die besonderen Umstände darzulegen und zu beweisen, die den Ausschluss der Öffentlichkeit im konkreten Fall gerechtfertigt haben.

 

Normenkette

BauGB § 28 Abs. 2-3; GemO BW § 35 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 30.01.2013; Aktenzeichen 50 O 9/12 Baul.)

 

Tenor

1. Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des LG Stuttgart vom 30.1.2013 - 50 O 9/12 Baul., wird zurückgewiesen.

2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollsteckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Das Urteil des LG Stuttgart vom 30.1.2013 - 50 O 9/12 Baul., ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwerte für I. und II. Instanz: jeweils 39.000 EUR

 

Gründe

I. Die Antragsgegnerin, eine Gemeinde mit 9.300 Einwohnern, hat von ihrem durch Satzung vom 28.7.2009 geschaffenen Vorkaufsrecht nach § 25 BauGB im Hinblick auf einen Kaufvertrag zwischen dem Antragsteller und dem Käufer Gebrauch gemacht und den Kaufpreis anstatt der vereinbarten 48.000 EUR auf 9.000 EUR festgesetzt. Dagegen wendet sich der Verkäufer.

Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Antragsgegnerin ihr Vorkaufsrecht rechtzeitig ausgeübt hat und der Beschluss über die Ausübung des Vorkaufsrechts im Gemeinderat der Antragsgegnerin in nichtöffentlicher Sitzung rechtmäßig war sowie ob der Bürgermeister das Vorkaufsrecht als Geschäft der laufenden Verwaltung ausgeübt hat. Bezüglich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes I. Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des LG Stuttgart vom 30.1.2013 - 50 O 9/12 Baul., verwiesen.

Mit diesem Urteil hat das LG Stuttgart dem Antrag auf Aufhebung des Bescheids der Antragsgegnerin über die Ausübung des Vorkaufsrechts stattgegeben. Es könne dahingestellt bleiben, ob die Ausübung des Vorkaufsrechts fristgemäß zugestellt wurde. Die Ausübung des Vorkaufsrechts sei rechtswidrig, weil darüber vom Gemeinderat der Antragsgegnerin in nichtöffentlicher Sitzung beraten und beschlossen worden sei, obwohl nach § 35 Abs. 1 S. 1 GemO die Sitzungen des Gemeinderats grundsätzlich öffentlich seien. Die berechtigten Interessen der Vertragsparteien hätten eine nichtöffentliche Sitzung nicht erfordert. Insbesondere hätten solche Interessen der Vertragsparteien an einem Ausschluss der Öffentlichkeit nicht unterstellt werden dürfen.

Die Antragsgegnerin könne sich nicht darauf berufen, der Bürgermeister habe die Entscheidung über die Ausübung des Vorkaufsrechts selbst treffen können. Die Entscheidung sei hier dem Gemeinderat überlassen worden, weshalb dieser die Formvorschriften der Gemeindeordnung habe einhalten müssen. Der Bürgermeister habe dessen Entscheidung nur exekutiert. Bezüglich der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Dagegen wendet sich die Berufung der Antragsgegnerin. Der Bescheid der Antragsgegnerin über die Ausübung des Vorkaufsrechts sei dem Antragsteller innerhalb der 2-Monats-Frist des § 28 Abs. 2 BauGB ordnungsgemäß zugestellt worden. Durch die Angabe einer Postadresse, welche über keinen Briefkasten verfüge, habe er den Zugang vereitelt und könne sich nicht darauf berufen, dass ihm der streitgegenständliche Bescheid nicht innerhalb der Ausübungsfrist bekanntgegeben worden sei.

Der Gemeinderat habe angesichts der vielfältigen Einzelheiten des Kaufvertrags, die einen erheblichen Einblick in die persönliche Sphäre der Vertragsbeteiligten gäben, wie künftige Nutzungsabsicht, Preis- und Zahlungsmodalitäten, in nichtöffentlicher Sitzung über die Ausübung des Vorkaufsrechts verhandeln dürfen. Der Bürgermeister habe vorab bei den Verfahrensbeteiligten ihr Interesse an einer Geheimhaltung der Vertragsmodalitäten abfragen können, aber nicht müssen. So habe das BVerwG entschieden, dass Kaufverträge über Grundstücke jedenfalls zu den Angelegenheiten gehören, deren vertrauliche Behandlung im Interesse der Vertragspartner in Frage komme.

Im Übrigen komme es auf die Wirksamkeit der Beschlussfassung des Gemeinderats nicht an, weil der Bürgermeister persönlich berechtigt gewesen sei, über die Ausübung des Vorkaufsrechts im Rahmen der laufenden Verwaltung zu entscheiden. Der Bürgermeister sei ausweislich der Hauptsatzung berechtigt, alleine über die Ausübung von Vorkaufsrechten im Wert bis zu 30.000 DM zu entscheiden. Als neues unstreitiges Vorbringen nach dem Schluss der letzten mündlich...

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