Leitsatz (amtlich)
Bei Verkauf eines Fahrzeugs an einen Händler im Rahmen einer Absatzkette erlangt der Hersteller i.S.d. § 852 BGB lediglich den Nettokaufpreis, der gegebenenfalls um eine (Netto-) Händlermarge zu reduzieren ist. Die vom Endverbraucher an den Händler gezahlte Umsatzsteuer hat der Händler als Steuerschuldner nach §§ 13 Abs. 1 Nr. 1; 13a Abs. 1 Nr. 1; 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG abzuführen und zahlt sie nicht an den Her-steller als seinen Verkäufer aus.
Normenkette
BGB § 852; UStG § 1 Abs. 1 Nr. 1, §§ 13, 13a Abs. 1 Nr. 1, § 15
Verfahrensgang
LG Heilbronn (Urteil vom 06.10.2021; Aktenzeichen 8 O 142/21) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 06.10.2021, Az. 8 O 142/21 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.962,45 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 7.220 EUR seit 03.06.2021 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs der Marke XY mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ....
2. Im Übrigen werden die Klage ab- und die weitergehende Berufung zurückgewiesen.
3. Von den in erster Instanz entstandenen Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 65 % und die Beklagte 35 %. Von den Berufungskosten tragen die Beklagte 62 %, die Klägerin 38 %.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Den Streitwert für das Berufungsverfahren hat der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 16.03.2022 im Einverständnis mit den Parteivertretern auf bis 13.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Entscheidung ergeht abgekürzt nach §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO.
II. Die statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig; insbesondere hat die Beklagte sie form- und fristgerecht nach §§ 517, 519 f. ZPO erhoben und begründet.
Sie hat teilweise Erfolg. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte nur auf Zahlung von 6.962,45 EUR, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs, nebst Prozesszinsen [s.u. 1.]. Anspruch auf Feststellung des Annahmeverzuges hat sie nicht [s.u. 2.].
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung von 6.962,45 EUR, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs aus § 852 BGB.
a) Die Beklagte hat durch eine unerlaubte Handlung [s.u. aa)] auf Kosten der Klägerin etwas erlangt [s.u. cc)], das sie auch nach Eintritt der Verjährung [s.u. bb)] nach Bereicherungsrecht herauszugeben hat.
aa) Die Klägerin hatte einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte auf Rückzahlung des Kaufpreises für den vom Abgasskandal betroffenen, streitgegenständlichen Pkw XY in Höhe von 27.355 EUR abzüglich Nutzungswertersatzes wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung aus §§ 826, 31 BGB aus § 826 BGB.
(1) Die Klägerin erlitt einen Vermögensschaden durch eine Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit durch Abschluss des Kaufvertrages über den streitgegenständlichen Pkw (s. zum Schaden durch Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit nur BGH, Urteile vom 21.12.2004 - VI ZR 306/03, zit. nach juris, Rn. 16, sowie vom 21.05.2019 - II ZR 340/18, zit. nach juris, Rn. 14, und Beschluss vom 26.03.2019 - XI ZR 372/18, zit. nach juris, Rn. 14). Sie kaufte ein Fahrzeug, das nur formal über eine EG-Typgenehmigung verfügte und deswegen nicht voll brauchbar war (vgl. nur BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, zitiert nach juris, Rn. 17; Schlussanträge der Generalanwältin E. Sharpston in der Rechtssache C-693/18 vom 30.04.2020, abrufbar unter www.curia.europa.eu, jeweils zur Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2007). Die Kaufvertragsverpflichtung ist angesichts des im Ansatz subjektbezogenen Schadensbegriffs unter Berücksichtigung der objektiven Umstände nach der Verkehrsanschauung unabhängig vom reinen Vermögenswert des gekauften Pkws als Schaden im Sinne des § 826 BGB anzusehen (ebenso BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, zitiert nach juris, Rn. 46 ff.). Der gekaufte Pkw war für die Klägerin nicht voll brauchbar, weil ihm nach § 5 Abs. 1 der Verordnung über die Zulassung von Fahrzeugen zum Straßenverkehr (Fahrzeug-Zulassungsverordnung - FZV a.F. und n.F.) die Betriebsuntersagung drohte (vgl. auch BGH, Beschluss vom 08.01.2019 - VIII ZR 225/17, zit. nach juris, Rn. 5, 21 f.). Seine Abgasrückführung war so gesteuert, dass sie entgegen Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) 715/2007 nicht unter "normalen Betriebsbedingungen dieser Verordnung und ihren Durchführungsmaßnahmen entspricht". Sie ist deswegen unzulässig, weshalb die Betriebsstillegung drohte (vergleiche dazu BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19, zit. nach juris, Rn. 21).
Konstruktionen zur vergleichbaren Steuerung von Abgasemissionen gelten nur in den eng begrenzten Ausnahmefällen des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung (EG) 715/2007 nicht als Abschalteinrichtungen. Solche Ausnahmen liegen nicht vor. Die betreffende Abschalteinrichtung diente gerade dazu, bei erkanntem Prüfbetrieb ein vom Echtbetrieb abweichendes Emis...