Leitsatz (amtlich)
Zur Haftungsverteilung bei einem Auffahrunfall zwischen einem Lkw, der in zeitlich und örtlich nahem Zusammenhang einen Spurwechsel vorgenommen hat, und einem mit erheblich überhöhter Geschwindigkeit auffahrendem Pkw.
Normenkette
BGB §§ 254, 823 Abs. 1; StVG § 17 Abs. 1-2; StVG § 18 Abs. 1; StVO § 7 Abs. 5 S. 1, Abs. 4
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 16.12.2009; Aktenzeichen 21 O 8/09) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Einzelrichters der 21. Zivilkammer des LG Stuttgart vom 16.12.2009 - 21 O 8/09 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin als Gesamtschuldner 2.045,31 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basissatz ab 19.12.2008 zu zahlen. Die Beklagte Ziff. 2 wird darüber hinaus verurteilt, an die Klägerin Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.045,31 EUR vom 26.10.2008 bis 18.12.2008 zu zahlen.
2. Die Beklagten werden verurteilt, an die Klägerin als Gesamtschuldner vorgerichtliche Anwaltskosten i.H.v. 145,60 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 18.12.2009 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz tragen die Klägerin 2/3 und die Beklagten als Gesamtschuldner 1/3. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 4.090,58 EUR.
Gründe
I. Die Parteien streiten noch um die Haftungsquote nach einem Verkehrsunfall vom 27.5.2008.
Der Klägerin ist unfallbedingt unstreitig ein materieller Schaden i.H.v. 10.226,45 EUR entstanden, von dem durch die Beklagte Ziff. 2 vorgerichtlich bereits 4.090,56 EUR (= 40 %) reguliert worden sind. Von der Klägerin wurde der Differenzbetrag nebst Zinsen eingeklagt (Antrag Ziff. 1), ferner ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten i.H.v. 507,50 EUR nebst Zinsen (Antrag Ziff. 2).
Wegen der sonstigen tatsächlichen Feststellungen des LG sowie dem Vorbringen der Parteien in erster Instanz wird auf das landgerichtliche Urteil vom 16.12.2009 verwiesen.
Durch dieses Urteil hat das LG nach Vernehmung der Zeugen H ... und W ... sowie der Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens der Klägerin 2.045,31 EUR nebst Zinsen zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Auffahrunfall habe sich im Zusammenhang mit einem Spurwechsel durch das Fahrzeug der Klägerin ereignet. Die Regeln des Anscheinsbeweises seien weder zugunsten der Klägerin noch zugunsten der Beklagten heranzuziehen. Jedoch habe der Beklagte Ziff. 1 die bestehende Geschwindigkeitsbegrenzung von 80 km/h nicht eingehalten. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass der Beklagte Ziff. 1 mit einer Ausgangsgeschwindigkeit von mindestens 110 km/h gefahren sei. Zulasten der Klägerin sei bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge eine etwas höhere Betriebsgefahr des Lkw zu berücksichtigen. Diese wiege das Mitverschulden des Beklagten Ziff. 1 aber nicht auf. Eine Haftungsverteilung von 60 % zu 40 % zugunsten der Klägerin sei angemessen. Zinsen in gesetzlicher Höhe stünden der Klägerin seit dem 19.12.2008 zu, ggü. der Beklagten Ziff. 2 außerdem Zinsen in gesetzlicher Höhe aus dem zuerkannten Betrag im Zeitraum zwischen dem 26.10. und dem 18.12.2008. Vorgerichtlich angefallene Rechtsanwaltskosten seien der Klägerin nicht zu erstatten, weil bei der Zahlungsaufforderung durch den Klägervertreter vom 13.10.2008 noch kein Verzug der Beklagten vorgelegen habe.
Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin, mit der sie ihre vom LG abgewiesenen Zahlungsanträge weiter verfolgt. Sie macht im Wesentlichen geltend, für den streitgegenständlichen Auffahrunfall sei der Beklagte Ziff. 1 allein verantwortlich. Mit einem Fahrstreifenwechsel aufgrund der Baustelle sei zu rechnen gewesen. Nach den eigenen Angaben des Beklagten Ziff. 1 habe dieser sowohl das erste Hinweisschild auf die bevorstehende Fahrbahnverengung als auch das Zeichen mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit bemerkt. Da der Beklagte Ziff. 1 diese um ca. 40 % überschritten habe, liege ein schwerwiegender Verkehrsverstoß vor, hinter der die Betriebsgefahr des Tanklastzuges zurückzutreten habe. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei der Unfall für den Beklagten Ziff. 1 vermeidbar gewesen. Ein Mitverschulden sei dem Zeugen H ... nicht vorzuwerfen. Daher sei die vom LG zugrunde gelegte Haftungsquote nicht korrekt. Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten seien von den Beklagten unabhängig davon zu ersetzen, ob die Verzugsvoraussetzungen vorgelegen hätten. Außerdem sei die Beklagte Ziff. 2 von der Klägerin schon mit Schreiben vom 22.8.2008 zur Zahlung aufgefordert worden.
Die Klägerin stellt den Antrag:
Unter Abänderung des am 16.12.2009 verkündeten Urteils des LG Stuttgart - 21 O 8/09 -...