Leitsatz (amtlich)
1. Alleinhaftung des Spurwechslers: Die Betriebsgefahr des auffahrenden Fahrzeugs tritt regelmäßig ganz hinter einen Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO zurück. Eine Mithaftung des Auffahrenden kommt nur in Betracht, wenn ein die Betriebsgefahr erhöhender Verursachungs- oder Verschuldensbeitrag vorgeworfen werden kann.
2. Eine Auslagenpauschale kann nur i.H.v. 25 EUR beansprucht werden.
Normenkette
StVG §§ 17-18; StVO § 7 Abs. 5
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 09.12.2009; Aktenzeichen 18 O 239/09) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der Einzelrichterin der 18. Zivilkammer des LG Stuttgart vom 9.12.2009 - 18 O 239/09. - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 11.587,29 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten p.a. über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 7.374,88 EUR seit 26.3.2009 und aus 2.475 EUR seit 25.4.2009 zu bezahlen.
2. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger vorprozessuale Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 837,52 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten p.a. über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 19.6.2009 zu bezahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 11.592,29 EUR.
Gründe
I. Der Kläger verfolgt Schadensersatzansprüche aufgrund eines Auffahrunfalles nach einem Streifenwechsel vom 11.3.2009.
Wegen der tatsächlichen Feststellungen des LG und dem Vorbringen der Parteien in erster Instanz wird auf das Urteil vom 9.12.2009 Bezug genommen.
Mit diesem Urteil hat das LG nach Vernehmung der Zeugen Dr. L ... und R. sowie nach Einholung eines mündlichen Sachverständigengutachtens zum Unfallhergang der auf Zahlung von Schadensersatz i.H.v. 11.592,29 EUR nebst Zinsen in gesetzlicher Höhe aus 7.374,88 EUR seit dem 26.3.2009 und aus 2.475 EUR seit dem 25.4.2009 (Antrag Ziff. 1) sowie auf Erstattung von vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 837,52 EUR nebst Zinsen in gesetzlicher Höhe seit 19.6.2009 (Antrag Ziff. 2) gerichteten Klage in vollem Umfang stattgegeben. Zur Begründung wurde ausgeführt, eine gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten ergebe sich aus § 823 Abs. 1 BGB bzw. aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 S. 1 StVG i.V.m. § 115 VVG. Ein unabwendbares Ereignis i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG habe weder für den Kläger noch für den Beklagten Ziff. 1 vorgelegen. Der Verursachungs- und Verschuldensbeitrag des Beklagten Ziff. 1 überwiege denjenigen des Klägers bei weitem mit der Folge, dass die Beklagten zum Ersatz des gesamten unfallbedingten Schadens des Klägers verpflichtet seien. Zwar sei der Kläger auf das Fahrzeug des Beklagten Ziff. 1 aufgefahren. Jedoch habe sich der Unfall in zeitlich und örtlich nahem Zusammenhang mit dem Fahrstreifenwechsel des Beklagten Ziff. 1 ereignet, weshalb nicht nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises auf ein Verschulden des Auffahrenden geschlossen werden könne. Vielmehr spreche nach der Rechtsprechung in einem solchen Fall der Beweis des ersten Anscheins für eine unfallursächliche Missachtung der sich aus § 7 Abs. 5 StVO ergebenden gesteigerten Sorgfaltsanforderung des vorausfahrenden Fahrstreifenwechslers. Dies gelte auch hier, weil der Beklagte Ziff. 1 beim Spurwechsel bei einer Lücke von nur 15 m keinen ausreichenden Abstand nach hinten und nach vorn habe einhalten können. Die obergerichtliche Spruchpraxis gehe regelmäßig bei einer solchen Sachlage von einer Alleinhaftung desjenigen Verkehrsteilnehmers aus, der einen sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsel durchgeführt habe. Ein Mitverschulden des Klägers sei weder dargelegt noch nachgewiesen worden. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei fraglich, ob der Kläger den Unfall überhaupt hätte vermeiden können. Selbst falls es dem Kläger möglich gewesen sein sollte, den notwendigen Sicherheitsabstand in der kurzen Zeitspanne zwischen dem Spurwechsel des Erstbeklagten und dem Unfall aufzubauen, treffe diesen kein Verschulden. Bei der Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG sei die Betriebsgefahr des Pkws des Klägers zu vernachlässigen.
Die Kosten für das Privatgutachten B. i.H.v. 736,97 EUR seien zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen und daher in vollem Umfang zu ersetzen. Gleiches gelte für die angefallenen Reparaturkosten i.H.v. 7.600,32 EUR brutto sowie den merkantilen Minderwert des Fahrzeuges i.H.v. 750 EUR und die geltend gemachte Unfallkostenpauschale i.H.v. 30 EUR. Dem Kläger stehe ferner eine Nutzungsausfallentschädigung i.H.v. 99 EUR täglich für insgesamt 25 Tage zu, auch wenn der private Sachverständige lediglich eine Reparaturdauer von etwa 6 bis 8 Arbeitstagen angenommen habe. Denn die Reparatur habe sich bis zum 7.4.2009 hingezogen, wobei zeitliche Verzögerungen (Schwierigkeiten bei der Er...