Leitsatz (amtlich)
Der Haftungsausschluss nach § 106 Abs. 3 3. Alt. SGB VII (gemeinsame Betriebsstätte) beruht auf dem Gedanken der sog. Gefahrengemeinschaft. Eine solche besteht typischerweise nicht zwischen Fahrer und Beifahrer eines im Straßenverkehr genutzten Fahrzeugs, da allein der Beifahrer dem Risiko ausgesetzt ist, durch das Fahrverhalten des Fahrers zu Schaden zu kommen.
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 20.04.2004; Aktenzeichen 23 O 279/03) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Einzelrichters der 23. Zivilkammer des LG Stuttgart vom 20.4.2004 - 23 O 279/03 - abgeändert, soweit die Klage abgewiesen wurde, und weiter festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die nach Erschöpfung des Teilungsabkommens vom 6.9./14.10.1985 entstehenden, übergangsfähigen Aufwendungen der Klägerin nach Sach- und Rechtslage auf Grundlage der vollen Haftung auszugleichen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Streitwert der Berufung: 3.000 Euro
Gründe
A. Die Klägerin ist Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung. Sie macht Ansprüche aus übergegangenem Recht, zum Teil i.V.m. einem von den Parteien getroffenen Teilungsabkommen, geltend.
Der bei der Klägerin kraft Satzung als Betreiber einer Wäscherei Versicherte erlitt als Beifahrer in einem vom Versicherungsnehmer der Beklagten gelenkten Kleintransporter am 17.12.2001 schwere Verletzungen. Der Versicherungsnehmer der Beklagten betrieb zum Zeitpunkt des Unfalls eine Teppichreinigung, die der Versicherte der Klägerin im Januar 2002 übernehmen wollte. Zweck der gemeinsamen Fahrt war, dass der Versicherte der Klägerin als potenzieller Unternehmensnachfolger bei den diesem bekannten oder unbekannten Geschäftspartnern als Nachfolger vorgestellt werden sollte.
Zwischen den Parteien besteht ein Teilungsabkommen über Ansprüche nach § 116 SGB X (Bl. 28 bis 30 d.A.). Das Teilungsabkommen sah eine hälftige Beteiligung der Beklagten im Bereich bis zu 100.000 DM (50.000 Euro) vor. Für Aufwendungen der Berufsgenossenschaft (Klägerin), die diesen Betrag übersteigen, sieht das Teilungsabkommen in § 3 folgende Regelung vor:
"1. Übersteigen im Einzelfall die zwischen den Abkommenspartnern teilbaren Aufwendungen der BG bei Schäden der Kraftfahrt-Haftpflichtversicherung den Betrag von 100.000 DM ..., so ist bis zu diesen Beträgen abkommensmäßig zu verfahren ....
3. Für den überschießenden Teil wird zum Grund und zur Höhe nach Sach- und Rechtslage verfahren; das gesamte Abkommen gilt also nicht mehr."
Auf die weiteren tatsächlichen Feststellungen des landgerichtlichen Urteils wird Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
Das LG hat dem Zahlungsantrag der Klägerin stattgegeben und festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die weiter gehenden übergangsfähigen Aufwendungen der Klägerin bis zu einem Grenzbetrag von 50.000 Euro abkommensgemäß auszugleichen. Den weiter gehenden Feststellungsantrag der Klägerin, wonach die Beklagte verpflichtet ist, die nach Erschöpfung des Teilungsabkommens entstehenden übergangsfähigen Aufwendungen der Klägerin nach Sach- und Rechtslage auf Grundlage der vollen Haftung auszugleichen, hat das LG abgewiesen. Das LG hat eine Haftung der Beklagten verneint, weil zu Gunsten des Versicherungsnehmers der Beklagten die Haftungsprivilegierung des § 106 Abs. 3 3. Alt. SGB VII ("gemeinsame Betriebsstätte") eingreife. Es ist der Auffassung, dass die Aktivitäten der Versicherungsnehmer der Parteien aufeinander bezogen und miteinander verknüpft und auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet seien. Die gemeinsame Unternehmung habe nicht nur in den Geschäftsräumen der jeweiligen Kunden stattgefunden, sondern auch auf der Fahrtstrecke zwischen den Geschäftsräumen der einzelnen Kunden. Auch die Fahrtstrecke stelle eine Arbeitsverknüpfung dar, weil selbstverständlich sei, dass dabei eine Vorbereitung des Kundengespräches oder die "Verarbeitung" eines solchen Gespräches stattgefunden habe.
Gegen die teilweise Abweisung der Klage wendet sich die Klägerin unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens, vor allem in rechtlicher Hinsicht. Zu Unrecht habe das LG angenommen, dass sich der Unfall auf einer gemeinsamen Betriebsstätte i.S.v. § 106 Abs. 3 3. Alt. SGB VII ereignet habe. Zwischen Fahrer und Beifahrer eines im öffentlichen Verkehr betriebenen Kraftfahrzeugs bestehe typischerweise keine Gefahrengemeinschaft. Außerdem sei begrifflich unter einer gemeinsamen Betriebsstätte eine räumlich begrenzte Örtlichkeit zu verstehen.
Die Klägerin beantragt:
Unter Aufrechterhaltung des Urteils der 23. Zivilkammer des LG Stuttgart vom 20.4.2004 hinsichtlich der Ziff. 1 und 2 des Urteilstenors wird weiter festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die nach Erschöpfung des Teilungsabkommens entstehenden, übergangsfähigen Aufwendungen der Klägerin nach Sach- und Rechtslage auf Grundlage der vollen Haftung auszugleichen.
Die Be...