Leitsatz (amtlich)
Rennt ein nicht angeleinter Schäferhund, der sich in erheblicher Entfernung von der Person befindet, die ihn ausführt, auf einen angeleinten Pudel zu und verletzt sich der Führer des Pudels durch einen Sturz, weil der Schäferhund ihn dabei berührt, haftet der Halter des Schäferhundes zu 100 % jedenfalls dann, wenn der Schäferhund sich bereits beim Losrennen außerhalb der Sichtweite der ihn führenden Person befunden hatte.
Normenkette
BGB §§ 254, 823 Abs. 1, § 833 S. 1
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Aktenzeichen 3 O 788/01) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Heilbronn vom 20.9.2001 abgeändert und in Ziff. 1–3 wie folgt zur Klarstellung neu gefasst:
1. Die mit dem Klageantrag Ziff. 1 geltend gemachten Ansprüche sind dem Grunde nach gerechtfertigt.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin sämtlichen materiellen und immateriellen Schaden aus dem Vorfall vom 28.6.1999 in O, L-Straße, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen bzw. übergegangen sind, zu ersetzen.
3. Die Klage wird bezüglich des Klagantrags Ziff. 2 abgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Berufungsrechtszugs tragen: von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der Klägerin diese 50 %, die Beklagten gesamtschuldnerisch 20 %, die Beklagte zu 2) weitere 30 %. Die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) tragen dieser sowie die Klägerin je zu 50 %. Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) trägt diese 3/4, die Klägerin 1/4.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Zum Sachverhalt wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
II. Zur Haftungsquote bezüglich des Beklagten zu 1):
Entgegen der Auffassung des angefochtenen Urteils ist eine Mithaftung der Klägerin zu verneinen. Weder die Tiergefahr des von ihr an der Leine geführten Pudels noch ein mitwirkendes Verschulden können der Klägerin angerechnet werden.
Der Senat unterstellt zugunsten der Beklagten, dass der dem Beklagten zu 1) gehörende Hund nicht auf die Klägerin sondern auf den von ihr geführten Pudel zugerannt ist. Die von dem Schäferhund ausgehende Tiergefahr ist erheblich. Der Hund hat die Klägerin, wie die Beklagte zu 2) in ihrer informatorischen Anhörung vor dem Senat geschildert hat, beim Umdrehen berührt, wodurch der Unfall mit den erheblichen Verletzungsfolgen entstanden ist.
Im Gegensatz zur Auffassung des LG kann das bloße Dasein des angeleinten Pudels der Klägerin im konkreten Fall eine Mitverursachungsquote nicht begründen. Im Rahmen der Tierhalterhaftung bestimmt sich die Ersatzpflicht nach dem Gewicht, mit dem die Gefahr beider Tiere im Verhältnis zueinander wirksam geworden ist (BGH NJW 1995, 2416). Die Tiergefahr, die durch einen freilaufenden Schäferhund, der sich in erheblicher Entfernung von der Person, die das Tier ausführte, befindet, ist erheblich höher als diejenige des angeleinten Pudels. Generell käme trotzdem evtl. ein geringfügiger Mithaftungsanteil, wie vom LG angenommen, in Betracht. Im konkreten Fall kommt jedoch zugunsten der Klägerin hinzu, dass die Beklagte zu 1) sich auf der gegenüberliegenden Seite einer Erhöhung befand ggü. der Klägerin, die auf der anderen Seite dieses Schutzwalls mit dem Hund spazieren ging. Der Hund, der die Klägerin streifte, hatte sich auf dem Schutzwall befunden und lief zur Klägerin, war in diesem Zeitpunkt damit außerhalb der Sichtweite der Beklagten 1) und von dieser in diesem Zeitraum kaum noch kontrollierbar, auch durch Zurufe nicht mehr. Unter Berücksichtigung dieser besonderen Situation, der von einem frei herumlaufenden Schäferhund ausgehenden Kraft und Energie einerseits und der demgegenüber geringfügigen Kraft und Energie eines angeleinten Pudels andererseits muss die Tiergefahr des Pudels in den Hintergrund treten.
Die im Schriftsatz der Beklagten vom 26.3.2002 erwähnten Entscheidungen der OLG Koblenz und Hamm stehen nicht im Widerspruch zu dieser Auffassung. Das OLG Koblenz (OLG Koblenz VersR 1983, 394) hatte zwar ebenfalls den „Konflikt” zwischen Schäferhund und Pudel zur Beurteilung, jedoch war der Sachverhalt ein gänzlich anderer: Im Fall des OLG Koblenz lief der angeleinte Pudel um die Halterin herum, wodurch sich die Leine um deren Beine schlang und die Halterin hinfiel. Im hier zu beurteilenden Sachverhalt berührte jedoch der Hund des Beklagten zu 1) die Klägerin, wodurch diese zu Fall kam. Die spezifische Hundgefahr des ängstlichen Pudels, der im Fall des OLG Koblenz unmittelbar die Verletzung der Halterin dieses Tiers auslöste, verwirklichte sich in dem hier zur Entscheidung stehenden Fall nicht. Im Fall des OLG Hamm (OLG Hamm v. 24.11.1994 – 6 U 236/93, NJW-RR 1995, 598) spielten zwei Hunde miteinander, was hier unstreitig nicht der Fall war.
III. Die Beklagte zu 2) haftet aus eigenem Verschulden (Fahrlässigkeit) gem. § 823 Abs. 1 BGB der Klägerin auf ...