Leitsatz (amtlich)
1. Ein Missbrauch der Vertretungsmacht durch einen Geschäftsführer einer GmbH ist für einen Rechtsanwalt als Geschäftspartner objektiv evident, wenn der Geschäftsführer in Vertretung der Gesellschaft einen hohen Geldbetrag auf ein Anderkonto des Rechtsanwalts überweist, um sich diesen sogleich in bar übergeben zu lassen, ohne dss für die Transaktion ein plausibler Grund vorliegt.
2. Zur Berücksichtigung des Einwands des rechtmäßigen Alternativverhaltens im Falle eines für den Geschäftspartner objektiv evidenten Missbrauchs der Vertretungsmacht.
Verfahrensgang
LG Stuttgart (Urteil vom 05.08.2008; Aktenzeichen 9 O 124/08) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 9. Zivilkammer des LG Stuttgart vom 5.8.2008 - 9 O 124/08 - abgeändert:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 457.482,12 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 16.2.2008 zu bezahlen.
2. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.452,26 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 3.4.2008 zu bezahlen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 457.482,12 EUR.
Gründe
A.1. Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen der Übernahme und Durchführung eines Mandats zur Abwicklung eines vermeintlichen Bargeschäfts über dessen Rechtsanwalts-Anderkonto auf Schadensersatz i.H.v. 457.482,12 EUR in Anspruch.
Die beiden Gesellschafter der Klägerin, die in S. wohnhaften V. N. und V. S., erwarben auf Vorschlag des Berliner Kaufmanns J.-J. B. die Geschäftsanteile der zunächst als Vorratsgesellschaft gegründeten Klägerin im Oktober 2006 je zur Hälfte, um über diese in den Erwerb von Binnenschiffen für die Donau zu investieren. B. wurde zum alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer der Klägerin bestellt.
Im 16.2.2007 bot B. in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Klägerin dem Eigner der M. C. an, das Schiff für 1,3 Millionen Euro zu erwerben. Im Anschluss an die Besichtigung des Schiffes in B., bei der auch der Gesellschafter N. zugegen war, kam es Anfang April zum Abschluss eines entsprechenden Vorvertrages. Der aufzubringende Kaufpreis sollte durch Gesellschafterdarlehen i.H.v. ca. 500.000 EUR, im Übrigen durch Bankkredit finanziert werden. Mit E-Mail vom 8.7.2007 teilte B. dem Gesellschafter N. die Bankverbindung hinsichtlich des von ihm eingerichteten Girokontos der Klägerin bei der Bank in H. zur Einzahlung der Darlehensbeträge mit. B. hatte für dieses Konto Einzelvollmacht. Zwar hatten die Gesellschafter auf eine gemeinsame Vollmacht mit dem Gesellschafter N. gedrängt, doch war B. darauf nur zum Schein eingegangen und hatte den Gesellschaftern ein gefälschtes Schreiben der C. übersandt, in dem die gemeinsame Verfügungsberechtigung bestätigt wurde. Die beiden Gesellschafter bezahlten unter Beteiligung von Familienangehörigen in Teilbeträgen zwischen 40.000 EUR und 45.000 EUR insgesamt 501.000 EUR auf dieses Konto ein. Zu einem Ankauf der M. C. kam es jedoch in der Folgezeit nicht. Auf Nachfrage der Gesellschafter verwies B. auf die noch ausstehende endgültige Entscheidung der Bank über den Kreditantrag.
Im September 2007 nahm B. telefonisch Kontakt zum Beklagten auf, der ihm von seinem Bekannten L. N., einem langjährigen Mandanten des Beklagten, empfohlen worden war. Daraufhin kam es im Oktober 2007 zu einem Treffen zwischen B. und dem Beklagten im Hotel M. am S. F.. Bei diesem Gespräch teilte B. dem Beklagten mit, die Gesellschafter der Klägerin, deren Geschäftsführer er sei, hätten 4,5 Millionen Euro Eigenmittel, die in Binnenschiffe für die Donau investiert werden sollten. Einige Schiffe seien schon erworben worden. Es sei vorgesehen, mit den Eigenmitteln und Bankkrediten in weitere Schiffe zu investieren. Das Geld befinde sich auf einem Konto bei der C. in H.. Aktuell sei der Kauf eines solchen Schiffes von einem ukrainischen Reeder beabsichtigt, der Barzahlung verlange. Die Barabhebung des als Anzahlung benötigten Betrages von 450.000 EUR solle nach Überweisung von zwei Tranchen über 200.000 EUR und 250.000 EUR auf das Rechtsanwalts-Anderkonto des Beklagten von dort erfolgen. Auf die Frage des Beklagten, warum B. sich das Geld nicht direkt von der Bank in bar auszahlen lasse, hat B. angegeben, die C. solle derzeit nicht von dem Erwerb der M. C. in Kenntnis gesetzt werden. Er habe bei der C. bereits mehrere Kreditanträge für den Ankauf von Binnenschiffen gestellt. Eine Umschreibung eines Kreditantrages auf die M. C. hätte eine mehrmonatige Verzögerung der Kreditvergabe zur Folge. Da wegen der aktuellen großen Nachfrage nach Binnenschiffen ein kurzfristiges Handeln erforderlich sei, wolle er die C. erst nach Genehmigung ...