Normenkette
BGB § 852 S. 1
Verfahrensgang
LG Ellwangen (Urteil vom 19.02.2021; Aktenzeichen 3 O 344/20) |
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Ellwangen (Jagst) vom 19.02.2021, Az. 3 O 344/20, abgeändert:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von 26.535,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 26.566,71 EUR vom 09.09.2020 bis 09.02.2021 und aus 26.535,50 EUR seit 10.02.2021 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges Volkswagen TIGUAN mit der Fahrzeugidentifikationsnummer ....
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Klagepartei wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen tragen die Beklagte 79 %, die Klagepartei 21 %.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klagepartei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Die Klagepartei darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil hinsichtlich der Kosten vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
V. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
VI. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 33.457,58 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger macht mit der am 19.08.2020 eingereichten und am 08.09.2020 zugestellten Klage deliktische Ansprüche im Zusammenhang mit dem Kauf eines vom sogenannten Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs geltend.
Mit Vertrag vom 15.06.2013 erwarb der Kläger einen VW Tiguan als Neufahrzeug bei der Firma ... in ... zu einem Kaufpreis von 41.500 EUR (Anl. K3).
Das Fahrzeug war mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet, der über eine Motorsteuergerätesoftware zur Optimierung der Stickoxidwerte (NOx) im behördlichen Prüfverfahren verfügte. Diese erkannte, ob sich der Pkw auf einem technischen Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte oder im üblichen Straßenverkehr befindet, und spielte sodann beim Stickstoffausstoß ein anderes Motorprogramm ab als im Normalbetrieb. Hierdurch wurden auf dem Prüfstand geringere NOx-Werte erzielt und die von der "Euro 5"-Abgasnorm vorgegebenen Grenzwerte eingehalten, um die entsprechende EG-Typengenehmigung zu erlangen.
Der Kläger hat in seiner informatorischen Anhörung vor dem Landgericht am 09.02.2021 erklärt, durch das Herstellerschreiben im Juli 2016 (Anlage K14) von der Abgasmanipulation an seinem Fahrzeug erfahren und noch im Jahr 2016 das Software-Update durchführen gelassen zu haben.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die deliktischen Ansprüche des Klägers aus §§ 826, 31 BGB seien verjährt. Der Kläger habe im Jahr 2016 Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen gehabt, so dass spätestens mit Ablauf des Jahres 2016 die Verjährungsfrist zu laufen begonnen und am 31.12.2019 geendet habe. Auch ein Anspruch aus § 852 BGB komme nicht in Betracht. Die Beklagte müsse allenfalls den erlangten Gewinn herausgeben. Unter Berücksichtigung einer Gesamtlaufleistung des Fahrzeuges von 300.000 km und der bis zum Termin der mündlichen Verhandlung unstreitig gefahrenen 58.477 km errechne sich ein Nutzungsausfall in Höhe von 8.089,32 EUR (58.477 × 41.500 Euro Kaufpreis geteilt durch 300.000), der neben der Händlermarge eine Abzugsposition wäre. Damit dem Kläger ein Anspruch aus § 852 BGB hätte zugesprochen werden können, müsste die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Fahrzeug einen Gewinn von über 19 % erzielt haben. Dies sei selbst für ein Fahrzeug einer hochpreisigen Kategorie kaum anzunehmen, erst recht jedoch nicht für das streitgegenständliche Fahrzeug VW Tiguan.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers.
Das Landgericht gehe fehlerhaft von einer Verjährung zum Zeitpunkt der Klageeinreichung aus. Der beklagtenseitige Vortrag sei lediglich geeignet, die - ohnehin unstreitige - Kenntnis des VW-Abgasskandals an sich feststellen zu können. Eine hinreichende Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen habe die Klagepartei im Jahr 2016 aber noch nicht gehabt, insbesondere keine Kenntnis der für den Sittenverstoß und den bedingten Schädigungsvorsatz relevanten Tatsachen. Die Erhebung einer Klage sei zudem erst im Jahr 2018 zumutbar gewesen. Denn erstmals im Jahr 2018 sei eine hinreichende Informationsdichte betreffend die Interna des VW-Konzerns erreicht gewesen.
Der Klagepartei stehe gegen die Beklagte hilfsweise ein Anspruch aus § 852 BGB zu. Die Beklagte sei verpflichtet, der Klagepartei den Kaufpreis abzüglich der Händlermarge und des Nutzungsersatzes zu erstatten, sowie Ersatz...