Leitsatz (amtlich)

1. Soll aufgrund einer Grunddienstbarkeit ein Überbau auf ein Nachbargrundstück erfolgen (hier Unterbau einer Tiefgarage), muss für die Anwendbarkeit des § 95 Abs. 1 S. 2 BGB zum Zeitpunkt der Verbindung die Eintragung der Grunddienstbarkeit zumindest notariell vereinbart worden sein; § 95 Abs. 1 S. 2 BGB greift nicht ein, wenn der Verbindende irrig vom Bestehen eines dinglichen Rechts ausgegangen ist oder eine Grunddienstbarkeit nach Errichtung des Bauwerks bestellt wird.

2. Eine Verwechslung der durch Grunddienstbarkeiten betroffenen Grundstücke ist dinglich nicht nach den Grundsätzen der "falsa demonstratio" unbeachtlich.

3. § 912 BGB kommt auch auf Grundstücke zur Anwendung, die in Wohnungseigentum aufgeteilt sind oder werden. Die Absicht des Erbauers, welches Grundstück Stammgrundstück sein soll und wie weit der Überbau reicht, kann dann insbesondere der (vorläufigen) Teilungserklärung zu entnehmen sein.

4. Für den Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises aus einem Kaufvertrag, der der Makler- und Bauträgerverordnung unterliegt, ist maßgeblich, dass im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung die Fälligkeit des Kaufpreises nicht eingetreten ist.

5. Eine notarielle Pfandfreigabeerklärung der Grundschuldgläubigerin beinhaltet als deren Rechtsgrund auch eine Freistellungsverpflichtung, die durch Erbringung der übrigen zur Löschung der Grundschuld erforderlichen Handlungen der Grundschuldgläubigerin und damit durch Vorlage des Grundschuldbriefs zu erfüllen ist. Auch wenn die Freistellungserklärung mit einer teilweisen Erfüllungshandlung der Grundschuldgläubigerin zusammenfällt, kann sie ohne Vorlage aller Löschungsunterlagen wie des Grundschuldbriefs den Anforderungen des § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 MaBV genügen.

6. Wird die Verwendung der notariellen Pfandfreigabeerklärung durch einen Treuhandauftrag des Grundpfandgläubigers eingeschränkt, ist auch diese Weisung Teil der schuldrechtlichen Freistellungserklärung.

7. Genügt die Freistellungserklärung den Anforderungen des § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 MaBV nicht und ist dennoch der Sicherungszweck erreicht, weil ein Anspruch auf Freistellung inzwischen entstanden ist, kann der verfrüht gezahlte Kaufpreis nicht wegen einer unzureichenden Freistellungserklärung zurückverlangt werden; vielmehr muss der Erwerber seinen inzwischen entstandenen Anspruch auf Freistellung durchsetzen.

8. Zahlt der Erwerber nach einer unzureichenden Freistellungserklärung ganz oder teilweise den Kaufpreis, hat der Bauträger die Kaufpreiszahlung für den Zeitraum zwischen Zahlung und Eintritt des Sicherungszwecks der Freistellungserklärung zu verzinsen.

 

Normenkette

BGB § 95 Abs. 1 S. 2, §§ 912, 817 S. 1, § 818 Abs. 1, §§ 819, 813 Abs. 2, § 272; MaBV § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 3 S. 2 bis 5

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Urteil vom 15.04.2011; Aktenzeichen 26 O 31/11)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten 1 wird das Urteil des LG Stuttgart vom 15.4.2011 - 26 O 31/11 abgeändert:

a) Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 2 - als Gesamtgläubigerin mit dem Kläger 1 - 1.046,20 EUR sowie vorgerichtliche Anwaltskosten i.H.v. 205,87 EUR zu zahlen.

b) Die Beklagte 2 wird darüber hinaus verurteilt, an die Klägerin 2 - als Gesamtgläubigerin mit dem Kläger 1 - weitere 20.753,80 EUR sowie vorgerichtliche Anwaltskosten i.H.v. 1.287,35 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 21.800 EUR seit 28.1.2011 und aus weiteren 1.493,22 EUR seit 2.2.2011 zu zahlen.

c) Die Beklagten werden darüber hinaus verurteilt, als Gesamtschulder an den Kläger 1 - im Umfang der Verurteilung unter a) und b) als Gesamtgläubiger mit der Klägerin 2 - 21.800 EUR sowie vorgerichtliche Anwaltskosten i.H.v. 1.493,22 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 21.800 EUR seit 28.1.2011 und aus weiteren 1.493,22 EUR seit 2.2.2011 zu zahlen.

d) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Berufungen der Beklagten 1 gegen den Kläger 1 und der Beklagten 2 gegen beide Kläger werden verworfen.

3. Die Anträge der beiden Beklagten auf Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist werden zurückgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen tragen von den Gerichtskosten die Klägerin 2 ¼ und die Beklagten als Gesamtschuldner ¾. Die Klägerin 2 trägt 1/2 ihrer außergerichtlichen Kosten selbst und trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten 1 zu 1/2. Die andere Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beklagte 2. Im Übrigen tragen die Beklagten die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens als Gesamtschuldner.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jeder Schuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

6. Die Revision wird zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 21.800 EUR

 

Gründe

I. Die Kläger verlangen von den Beklagten die teilweise Rü...

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