Leitsatz (amtlich)
1. Trotz gesteigerter Erwerbsobliegenheit gemäß § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB kann sich der Vater gegenüber einem bei der Mutter lebenden ehelichen Kind auf Leistungsunfähigkeit berufen, wenn er zwei weitere eheliche Kinder in seinem Haushalt betreut und deshalb in seinem Beruf als Handwerksmeister weniger Erträge erwirtschaftet als während des Zusammenlebens der Familie.
2. Neben der Betreuung und Versorgung von zwei Kindern im Alter von 10 und 12 Jahren besteht gegenüber einem weiteren, im Haushalt des anderen Elternteils lebenden minderjährigen Kind nicht die Obliegenheit zur Aufgabe eines viele Jahre geführten Handwerksbetriebs und zur Aufnahme einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit in abhängiger Stellung.
Normenkette
BGB § 1603 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
AG Schwäbisch Gmünd (Aktenzeichen 7 F 235/01) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des AG Schwäbisch Gmünd - FamG - vom 6.9.2001 (7 F 235/01) abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 3.600 Euro
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Beklagten, dem Kläger seit 1.1.2001 Kindesunterhalt zu bezahlen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen. Mit seiner Berufung verlangt der Kläger Unterhalt i.H.v. knapp 100 % des Regelbetrags. Mit seiner rechtlich selbstständigen Berufung begehrt der Beklagte Klagabweisung in vollem Umfang.
In zweiter Instanz streiten die Parteien im Wesentlichen über die Ertragskraft des vom Beklagten geführten Handwerksbetriebs und dessen Obliegenheit, zur Herstellung seiner vollen unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit sich in ein vollschichtig auszuübendes Beschäftigungsverhältnis in abhängiger Stellung zu begeben.
II. Die zulässige Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Die ebenfalls zulässige Berufung des Beklagten hat Erfolg und führt zur Abweisung der Klage.
1. Der Senat teilt die Auffassung des FamG, dass der Beklagte dem minderjährigen Kläger ggü. gesteigert unterhaltspflichtig ist (§ 1603 Abs. 2 S. 1 BGB). Die Zurechnung fiktiver Einkünfte des Beklagten bei der Bestimmung seiner unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit setzt jedoch voraus, dass ihm unterhaltsbezogenes Fehlverhalten vorzuwerfen ist, wenn er derartige Einkünfte nicht erzielt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte die beiden 10 und 12 Jahre alten Brüder D. und S. in seinem Haushalt betreut und versorgt. Neben der Betreuung von zwei Kindern dieser Altersstufe ist der Beklagte zu einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit nicht verpflichtet. Bei Wahrung des notwendigen Selbstbehalts von monatlich 1.500 DM (bis 30.6.2001), 1.640 DM (bis 31.12.2001) und 840 Euro (seit 1.1.2002) und bei Berücksichtigung der von ihm bereits reduzierten Kreditbelastungen von monatlich 1.000 DM wäre der Beklagte bei einer untervollschichtigen Tätigkeit in abhängiger Stellung jedoch nicht leistungsfähig. Dabei ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die Barunterhaltslast des Beklagten für D. und S. in dem Umfang nicht berücksichtigt werden kann, wie er für diese beiden Kinder Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz bezieht.
2. Die vom Beklagten erzielten Einkünfte aus seinem Handwerksbetrieb führen nicht zu seiner unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit. Eine isolierte Betrachtung der Gewinnsituation des Betriebs des Beklagten im Jahr 1996 vermag kein zutreffendes Bild über dessen Ertragskraft in dem fünf Jahre später beginnenden Streitzeitraum zu vermitteln. Die Situation des Beklagten damals ist nicht zu vergleichen mit der heutigen. Nach Trennung der Eheleute fiel die Mutter des Klägers sowohl als Arbeitskraft im Betrieb als auch bei der Betreuung der Söhne aus, wobei darauf hinzuweisen ist, dass zunächst auch der Kläger im Haushalt des Beklagten lebte und von diesem betreut wurde. (…)
Im Jahre 1998 – dem Jahr der Trennung der Eheleute – fand eine Halbierung der Umsatzerlöse ggü. dem Jahr 1997 statt. Zwischen 1998 und 1999 verminderten sich die Umsatzerlöse nochmals drastisch von 137.365 DM auf 42.951 DM. Dies hat der Beklagte jedoch in plausibler Weise damit erklärt, dass er als nunmehr allein arbeitender Handwerker größere und umsatzträchtige Aufträge nicht mehr ausführen konnte. (…)
Die ab dem Jahre 2000 erkennbare Aufwärtsentwicklung von Umsatzerlösen und Erträgen erlauben den Rückschluss, dass sich der Betrieb des Beklagten in einer Konsolidierungsphase befindet. Derzeit werden allerdings noch nicht die Erträge erwirtschaftet, deren der Beklagten bedürfte, um bei Berücksichtigung seiner Belastungen, insbesondere dem Schuldendienst von derzeit monatlich 1.000 DM und der Vorsorgeaufwendungen für Kranken- und Pflegeversicherung, den notwendigen Selbstbehalt von monatlich 840 Euro zu erreic...