Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterlassung der Nutzung eines über ein Privatgrundstück verlaufenden Weges
Leitsatz (amtlich)
1. Es gibt keinen gewohnheitsrechtlichen Rechtssatz, wonach es Landwirten grundsätzlich gestattet sei, sämtliche bestehenden Feld- und Wirtschaftswege für den landwirtschaftlichen Verkehr zu nutzen. (Rn. 39)
2. Eine über lange Zeit praktizierte Nutzung eines Weges begründet keine generell-abstrakte Regelung einer Vielzahl von Rechtsverhältnissen einer bestimmten Art, die über den Einzelfall hinausweist. Die aus der langen Übung abgeleitete Gestattung bezieht sich nur auf den streitgegenständlichen Weg, nicht auf mehrere Wege gleicher Art, und die Nutzung beschränkt sich auf die betroffenen Eigentümer und damit auf bestimmte Personen. Sie hat konkret-individuellen Charakter und betrifft damit lediglich einen Einzelfall. (Rn. 45)
3. Bei atypischen vertraglichen Dauerschuldverhältnissen besteht grundsätzlich ein Recht zur ordentlichen Kündigung in angemessener Frist, die vom Tatrichter zu bestimmen ist, es sei denn, ein ordentliches Kündigungsrecht ist durch eine vertragliche Vereinbarung ausgeschlossen worden, was auch konkludent möglich ist (Anschluss BGH, Beschluss vom 15. September 2009 - VIII ZR 241/08). (Rn. 52)
Normenkette
BGB §§ 242, 314 Abs. 1, § 917 Abs. 1 S. 1, § 1004 Abs. 1 S. 2, Abs. 2; StrG BW § 13 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LG Ravensburg (Urteil vom 17.05.2022; Aktenzeichen 2 O 378/18) |
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Ravensburg vom 17.05.2022 wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte. Hiervon ausgenommen sind die durch Anrufung des sachlich unzuständigen Amtsgerichts Biberach entstandenen Mehrkosten, die der Klägerin auferlegt werden.
3. Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 12.000,00 EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: bis 25.000 EUR
Gründe
I. Die Klägerin verlangt vom Beklagten, das Befahren eines Weges, der über ihre Grundstücke verläuft, zu unterlassen.
Die Klägerin und ihr am 30.05.2018 verstorbener Ehemann E. Th. erwarben im Jahr 1997 als Miteigentümer die Mühle S. und die umgebenden Grundstücke Flst.Nr. ..., ..., ..., ... der Gemarkung S., einem Ortsteil von AS..
Am 08.04.1998 trafen die Klägerin und ihr Ehemann mit der Gemeinde AS. eine schriftliche Vereinbarung, in der zwei Wege beschrieben sind, die über die Mühlengrundstücke verlaufen. Unter Nr. 3 wird ein westlich verlaufender Geh- und Radweg von der Mühlstraße über den Hofraum der Mühle Richtung AS. beschrieben und unter Nr. 4 der hier streitgegenständliche Wirtschaftsweg östlich der R. von der Mühlstraße über den Hofraum der Mühle und über das Flurstück .... Unter Nr. 5 der Vereinbarung wird ausgeführt, dass beide Wege aufgrund Widmung durch unvordenkliche Verjährung öffentliche Wege seien. Weiter erklärten sich die Klägerin und ihr Ehemann damit einverstanden, die Benutzung der genannten Wege für Fußgänger und Radfahrer, wie auch beim landwirtschaftlichen Weg die Nutzung mit landwirtschaftlichen Maschinen im bisherigen Umfang auch für die Zukunft zu gestatten (Nr. 6). Die Gemeinde verpflichtete sich zur Übernahme der Verkehrssicherungspflichten sowie der Instandhaltung der Wege und stellte die Eheleute Th. von jedweder Haftung frei, die aus der Benutzung der Wege durch die Gemeinde oder Dritte entstehen könnte (Nr. 7).
Am 22.09.2010 wandte sich der Prozessbevollmächtigte der Eheleute Th. schriftlich an die Gemeinde AS., beanstandete die Verschmutzung des "Privatweges" sowie verschiedene Formen von Vandalismus bei dessen Benutzung und rügte, dass die Gemeinde ihren Pflichten aus der Vereinbarung vom 08.04.1998 nicht nachgekommen sei. Nachdem die Gemeinde mitgeteilt hatte, ihr sei die Vereinbarung nicht bekannt, weshalb die darin vereinbarten Maßnahmen nicht ergriffen worden seien, erklärte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Schreiben vom 13.12.2010 unter Hinweis auf die Nichterfüllung der Pflichten der Gemeinde die Kündigung der Vereinbarung vom 08.04.1998.
Wegen Meinungsverschiedenheiten über die Frage, ob es sich bei dem in Nr. 3 der Vereinbarung vom 08.04.1998 beschriebenen Fuß- und Radweg über den Hofraum der Mühle zur Westseite der R. Richtung AS. um einen öffentlichen Weg handle, kam es zu einem Rechtsstreit zwischen den Eheleuten Th. und der Gemeinde AS. vor dem Verwaltungsgericht Sigmaringen, der mit rechtskräftigem Urteil vom 21.06.2016 - 3 K 591/16 - endete, in dem das Verwaltungsgericht feststellte, dass es sich dabei um keinen öffentlichen Weg handle, weil es an einer entsprechenden Widmung fehle.
Mit Schreiben vom 27.04.2016 wiederholte der Prozessbevollmächtigte der Eheleute Th. vorsorglich die Aufkündigung etwaiger Vereinbarungen aus allen Rechtsgründen.
Der Beklagte ist La...