Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Verkehrssicherungspflicht bei Betreiben eines Sprungturms in einem Freibad und zum Mitverschulden durch die Teilnahme an einem unzureichend organisierten und daher erkennbar gefährlichen Sprungbetrieb
Verfahrensgang
LG Heilbronn (Aktenzeichen 6 O 135/16) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 21.12.2016, Az. 6 O 135/16, teilweise abgeändert und unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen wie folgt neu gefasst:
Die Klageanträge sind dem Grunde nach zu 75 Prozent gerechtfertigt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Kläger 1/4 und die Beklagten als Gesamtschuldner 3/4. Die Beklagten tragen ferner als Gesamtschuldner 3/4 der im Berufungsverfahren entstandenen Kosten des Streithelfers.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Streitwert: 187.631,17 EUR
Gründe
1. Die Kläger machen Schadensersatz geltend aus einem Unfall im Mineralfreibad B... am 04.07.2015, bei dem V..., der 35-jährige Ehemann der Klägerin Ziff. 1 und Vater der minderjährigen Kläger Ziff. 2 und 3, tödlich verunglückt ist.
Der Beklagte Ziff. 1 ist Pächter und Betreiber des Freibads, der Beklagte Ziff. 2 war zum Unfallzeitpunkt der vor Ort tätige Bademeister, der die Badeaufsicht im Bereich des Sprungbeckens und somit auch im Hinblick auf die Sprunganlagen innehatte.
Das Mineralfreibad B... verfügt über einen etwa 70 Jahre alten Sprungturm, der aus drei übereinander liegenden Plattformen in 5, 7,5 und 10 m Höhe besteht. Die höher liegenden Sprungplattformen überragen die jeweils darunter liegende Plattform um etwa 0,5 bis 1 m.
Die Reihenfolge, in der von den verschiedenen Ebenen des Sprungturms gesprungen wurde, regelten die Badegäste in eigener Regie in der Weise, dass derjenige Badegast, der springen wollte, sich zunächst von seiner Plattform aus vergewisserte, dass der Eintauchbereich frei ist, sodann laut rief "5er [bzw. 7,5er oder 10er] springt" und anschließend sprang. Diese Vorgehensweise war die gängige Praxis im Freibad.
Am Unfalltag war das Freibad wegen des heißen Wetters stark frequentiert. Alle Ebenen des Sprungturms waren wie üblich geöffnet. Auch der Sprungturm war stark frequentiert.
Gegen 16.00 Uhr begab sich V... auf die 5-Meter-Plattform. Er rief "5er springt" und sprang in den zu diesem Zeitpunkt freien Eintauchbereich. Unmittelbar danach sprang der Streithelfer der Kläger von der 10-Meter-Plattform per Kopfsprung ins Wasser. Der Streithelfer prallte mit dem Rücken gegen den gerade im Auftauchen begriffenen V... . Dieser zog sich durch den Aufprall schwere Kopfverletzungen zu, an denen er einen Tag später verstarb.
Die Kläger machen mit ihrer Klage Beerdigungskosten und Unterhaltsansprüche geltend.
Der Beklagte Ziff. 1 behauptet:
Der Streithelfer habe sich vor seinem Sprung nicht ordnungsgemäß darüber vergewissert, ob das Becken frei sei. Er sei untypisch weit in das Becken hineingesprungen und habe so den dort noch befindlichen Herrn V... getroffen.
Es gebe eine Vielzahl vergleichbarer Sprunganlagen bundesweit. Es sei üblich, dass zeitgleich alle Sprungbretter geöffnet seien.
Der Beklagte Ziff. 2 behauptet:
Herr V... habe seinen Sprung zwar angekündigt, aber so leise, das diese Ankündigung für die Springer auf den höheren Plattformen nicht wirklich hörbar gewesen sei.
Im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des Landgerichts Bezug genommen.
2. Das Landgericht hat in einem Grundurteil die Klageanträge dem Grunde nach zu 100 Prozent für gerechtfertigt erklärt.
Der Beklagte Ziff. 1 habe seine Verkehrssicherungspflicht als Betreiber des Schwimmbads verletzt. Er habe die Pflicht gehabt, durch organisatorische Anweisungen sicherzustellen, dass nicht zeitgleich von allen Ebenen des Sprungturms gesprungen werden könne. Tatsächlich seien am gesamten Unfalltag sämtliche Plattformen des Sprungturms für jedermann offen zugänglich und zum Springen geöffnet gewesen. Dass der Beklagte Ziff. 1 den Beklagten Ziff. 2 angewiesen habe, jeweils lediglich eine Plattform für den Sprungbetrieb freizugeben, sei nicht glaubhaft. Ohnehin hätte dem Beklagten Ziff. 1, der am Unfalltag vor Ort war, die gegenteilige Praxis auffallen müssen.
Die fehlende Anweisung bzw. deren unbeanstandet gebliebene Nichtbefolgung stelle einen klaren Verstoß gegen die im Verkehr erforderliche objektive Sorgfalt dar. Bei einem Sprungturm mit unmittelbar übereinanderliegenden Sprung-Ebenen liege es auf der Hand, dass die gleichzeitige Freigabe aller Sprung-Plattformen ein erhebliches Gefahrenpotential in sich trage. Dieses Gefahrenpotential sei am Unfalltag noch erhöht gewesen, weil das Freibad und der Sprungturm wegen des guten Wetters se...